Ahad, ein noch unbekannter Gott

🇳🇱 Der Gott des Korans heißt Allāh, das weiß jeder. Viele wissen auch, dass das ursprünglich kein Eigenname war, sondern ein Substantiv mit Artikel: „der Gott“. Aber aufgrund seines göttlichen Wesens, seines Handelns und seiner Eigenschaften ist es vollkommen richtig, das Wort Allāh als Eigenname aufzufassen.
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Dieser Gott wird im Koran oft al-raḥmān genannt. Das bedeutet „barmherzig“ und hat den Status eines Adjektivs—anderen zufolge den eines Substantivs—bekommen. An vielen Stellen im Koran tritt das Wort aber als Eigenname auf, wenn es auch auf denselben Gott Bezug nimmt wie das Wort Allāh. Innerhalb des Korans gibt es Hinweise, dass ein al-Raḥman früher als separater Gott aufgefasst wurde, z.B. Koran 17: 110 قل دعوا الله أو دعوا الرحمن  „betet zu Allāh oder betet zu al-Raḥmān“. Außerhalb des Korans ist es noch deutlicher. Bereits hundert Jahre vor Mohammed wurde im Jemen auf einer Inschrift der Gott Raḥmānān erwähnt, mit der sabäischen Endung -ān, die den Artikel darstellt. Er war der mittel- und südarabische high god des Himmels und der Sterne. Er ist aufgegangen in „dem Gott“, der im Islam der Einzige geworden ist.
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In den letzten Jahren wurden in Arabien Tausende Felsinschriften aus vorislamischer Zeit gefunden
. Eine davon lautet, in der Übersetzung von Ahmad al-Jallad, wie folgt:1 

  • He kept watch for his family while camping near water so O Aḥad and Allāt, may he who reads (this) have security and spoil.2

Hier werden also Schutz und Hilfe zweier Götter angerufen. Allāt ist eine Göttin, die auch aus dem Koran bekannt ist—wo sie natürlich als Göttin ausgedient hat. Aḥad war noch unbekannt. Aḥad ist ein gängiges arabisches Wort, das „einer“ oder „jemand“ bedeutet. Aber offensichtlich war es auch der Name eines Gottes. Wenn man so will, kann man ihn auch in der Bibel entdecken: שְׁמַע יִשְׂרָאֵל יְהוָה אֱלֹהֵינוּ יְהוָה אֶחָֽד „Höre Israël, der HERR ist unser Gott, der HERR ist Æḥad“ (5. Mose 6:4).
Für Muslime gilt aḥad als einer der „herrlichen Namen“ Gottes. Er kommt auch im Koran vor, in Sure 112: قل هو الله أحد „Sag: Er ist Allāh, ein Einziger,“ oder wenn wir das huwa weglassen (siehe dazu hier): „Allāh ist ein Einziger“. Ich kann mir die Frage nicht verkneifen: Haben wir es auch hier mit einer Gottheit zu tun, die mit „dem Gott“ gleichgesetzt wird: „Allāh ist Aḥad“? So wie er mit al-Raḥmān identisch ist, ist er so auch identisch mit Aḥad? Ein Koranvers und eine ziemlich alte Inschrift reichen nicht für eine Schlussfolgerung, aber ich behalte den Gedanken im Kopf. Sollte es so sein, so enthielte der letzte Vers der Sure ein Wortspiel: ولم يكن له كفوا أحد : „und nicht einer (aḥad) ist ihm ebenbürtig.“
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Der Eigenname ‘Abd al-Aḥad, „Knecht des Einen,“ ist islamisch. Muslime verwenden oft einen der „herrlichen Namen“ Gottes in dieser Manier. Kam er auch schon in vorislamischer Zeit vor? Nach einigem Blättern in Namenlisten scheint mir das nicht der Fall zu sein, aber auch dies sollte als Möglichkeit offen gelassen werden.

ANMERKUNG
1. Al-Jallad hat hierzu interessante Tweets. Die Sache ist offensichtlich noch nicht reif für einen wissenschaftlichen Artikel. OCIANA, auf das er hinweist, ist das Online Corpus of the Inscriptions of Ancient North Arabia. Siehe dort auch unter Safaitic.
2. Safaitische Inschrift Nr. KRS 1131: kharaṣa ahl-oh ḥāṣ́era fa-hā-aḥad wal-lāt salām le-dhī da’aya. Safaitisch war ein Alfabet; man hat Tausende in dieser Schrift verfasste Inschriften gefunden, zwischen Südsyrien und dem Norden Saudi-Arabiens. Man kann sie zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 4. n.Chr. datieren.

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Gottesbeweis: Der Schöpfer beugt Inflation vor

🇳🇱 Heute wieder ein Fragment aus dem arabischen, überwiegend christlichen Text Kitāb al-i‘tibār fī al-malakūt von Djibrīl ibn Nūh,1 eine Sammlung von ungefähr hundert teleologischen Gottesbeweisen (arguments from design), wahrscheinlich aus dem neunten Jahrhundert. Siehe zu dem Büchlein hier. Daraus finden Sie in diesem Bluch Fragmente zum Rüssel des Elefanten, zur Dummheit von Babys, zum Penis des Mannes, zur menschlichen Stimme und zum schreienden Hirsch.

Die Fürsorge des Schöpfers für seine Geschöpfe ist auch ersichtlich aus der Knappheit von Edelmetallen. Er hat es den Menschen unmöglich gemacht, diese Metalle selbst herzustellen. Wenn sie das könnten und demzufolge unbegrenzte Mengen Gold und Silber zur Verfügung hätten, würde das Geld wertlos und der Handel damit unmöglich. Davor hat er die Menschheit behütet. In Djibrīls Worten: 

  • Erwäge, wie kostbar Gold und Silber sind und wie die Vernunft der Menschen versagt, wenn sie versuchen [diese Metalle] selbst herzustellen, obwohl sie das sehr gerne möchten und sie sich dazu sehr anstrengen. Wenn sie die Kenntnisse, nach denen sie streben, erlangen würden, würden diese in der Welt unvermeidlich so allgemein bekannt, dass es viel zu viel Gold und Silber geben würde. Deren Preis würde stürzen und sie würden wertlos werden, so dass sie bei Kauf und Verkauf, bei Transaktionen, bei Steuern, die für den Sultan erhoben werden, und im Spartopf für den Nachwuchs keinen Nutzen mehr hätten. Es ist dem Menschen aber gegeben, Messing herzustellen aus Kupfer, Sand aus Glas und mehr solche Sachen, die nicht schaden können. Man sieht also, dass Menschen mit Sachen, die ihnen unschädlich sind, frei walten dürfen, was ihnen aber bei Stoffen, die ihnen schädlich wären, wenn sie sie erhielten, verwehrt bleibt.1

Nicht nur die Herstellung von Edelmetallen ist dem Menschen verwehrt worden, auch deren Gewinnung in Gruben u.dgl. bleibt beschränkt, obwohl die Vorkommen riesig sind:

  • Grubenarbeiter haben uns erzählt, dass sie einmal sehr tief in eine bestimmte Grube vordrangen und an eine Stelle kamen, wo sie etwas wie Berge aus Silber sahen. Aber vor der Stelle strömte ein gewaltiger, bodenlos tiefer Fluss mit einer starken Strömung, den sie unmöglich überqueren konnten. Später kehrten sie zurück um diese Stelle zu suchen, aber sie konnten sie nicht wiederfinden und gingen enttäuscht zurück.
    Erwäge jetzt den Entwurf des Schöpfers. Er wollte seinen Knechten seine Allmacht und den Umfang seiner Schätze zeigen, um sie wissen zu lassen, dass er, wenn er ihnen Berge Silber schenken wollte, dazu fähig wäre. Aber das wäre nicht gut für sie, denn wie gesagt: Das Metall würde unter den Menschen an Wert einbüßen und von wenig Nutzen sein. Nehmen wir zum Beispiel an, dass unter den Gefäßen oder anderen Gegenständen, die Menschen herstellen können, etwas Außerordentliches entsteht. So lange es ungewöhnlich und selten bleibt, wird es teuer sein und seinen Preis behalten, aber wenn es in Überfluss zur Verfügung kommt, wird der Wert sinken und der Preis wird abstürzen. Hierin liegt die Bestätigung von dem, was jemand einmal sagte: „Die Kostbarkeit von Sachen hängt von ihrer Knappheit ab.“ 2

Dem Autor, der im Irak zu Hause war, war offensichtlich die Mär verborgen geblieben, dass im westafrikanischen Ghāna3 das Gold überhaupt nicht knapp sei. Das Land war nämlich für seine wahrhaft legendären Goldvorkommen bekannt; es war gleichsam das Eldorado Afrikas. Das Gold wuchs dort an Pflanzen: „Gold wächst im Sande dieses Landes wie Karotten; bei Sonnenaufgang wird es gepflückt.“ 4 Nun, in Ghāna war es nicht der Schöpfer, sondern ein weiser König, der der Inflation vorbeugte: „Die Goldklumpen, die in allen Gruben des Landes gefunden werden, sind für den König reserviert. Er lässt nicht zu, dass sie aus seinem Land in ein anderes gehen. Die Klumpen können von einer Unze bis zu einem Pfund wiegen. Nur Staubgold lassen sie aus dem Land heraus. Wenn sie alles, was in den Gruben gefunden wird, herausließen, würde zu viel Gold in die Hände der Menschen geraten und es würde seinen Wert verlieren.“ 5

Dieser König war nicht der einzige: Viele Fürsten haben ihre Schatzkammern voll geladen und später machte die Kirche dasselbe, zum Beispiel in Spanien, wo viel neues Gold aus Amerika nicht auf den Markt kam, sondern in Gestalt teurer kirchlicher Kunst „unschädlich“ gemacht wurde. Alles eingedenk der Grundregel der Ökonomie: „Die Kostbarkeit von Sachen hängt von ihrer Knappheit ab.“

ANMERKUNGEN:
1. Auch als Dalāʾil al-i‘tibār bekannt. Das Büchlein wird oft al-Djāḥiẓ (ca. 776–869) zugeschrieben. Die erste (unkritische) Ausgabe erschien 1928 in Aleppo. Ich habe verschiedene Handschriften benutzt; Einzelheiten behalte ich noch für mich.

ثم فكر‏ في‏ عزة الذهب والفضّة‏ وقصور حيلة‏ الانس عمّا حاولوا من‏ صنعتهما على حرصهم واجتهادهم في‏ ذلك‏. ‏ فإنهم لو ظفزوا بما حاولوا من هذا العلم‏ كان لا محالة‏ سيظهر ويستفيض في‏ العالم حتّى‏ يكثر‏ الذهب والفضة‏ ويسقط عند الناس فلا تكون لهما قيمة ويبطل الانتفاع بهما في‏ الشراء والبيع والمعاملات والاتاوة‏ التي‏ تُجبَى الى السلطان والذخر‏ الذي‏ يذخر للأعقاب‏. وقد أعطي‏ الناس مع هذا صنعة‏ الشبه من النحاس والزجاج من الرمل وما أشبه ذلك مما لا مضرّة فيه‏. فانظر كيف أعطوا ارادتهم فيما لا‏ ضرر عليهم فيه ومنعوا ذلك فيما كان ضارّاً‏ ‏ لهم لو نالوه‏.

2.

أخبرنا أناس ممن يزاول المعادن أنّهم‏ أوغلوا في‏ بعضها فانتهوا الى موضع رأوا فيه أمثال الجبال من الفضّة،‏ ومن دون ذلك وادٍ‏ عظيم‏ يجري‏ منصلتًا بماء‏ غزير لا يدرك‏ غوره‏ ولا حيلة في‏ عبوره‏. ثم عادوا‏ يطلبونه فلم‏ يقفوا عليه فانصرفوا آسفين‏.
‏ ففكِّر الآن في هذا من تدبير الخالق‏. فانّه‏ جل ثناؤه أراد أن‏ يري‏ العباد قدرته وسعة خزائنه ليعلموا أنّه لو شاء أن‏ يمنحهم كالجبال من الفضّة لفعل،‏ ولكنه لا صلاح لهم في‏ ذلك،‏ لأنّه كان‏ يكون كما ذكرنا‏ بسقوط هذا الجوهر عند الناس وقلّة انتفاعهم به‏. واعتبر ذلك بأنّه قد‏ يظهر الشيء الطريف مما يُحدثه الناس من الأواني‏ والأمتعة‏. فما دام عزيزًا قليلاً‏ فهو نفيس جليل‏ آخذ للثمن،‏ فاذا فشا وكثر في‏ أيدي‏ الناس سقط عندهم وخست‏ ‏ قيمته‏. وفي‏ هذا مصداق قول القائل‏ انّ‏ نفاسة الأشياء من عزتها‏.

3. Dieses historische Ghāna lag weit nordwestlich des modernen Ghana, ungefähr im heutigen Mali. Es muss ein mächtiges Reich gewesen sein.
4. Yāqūt ibn ‘Abdallāh al-Ḥamawī, Mu‘djam al-buldān, Hrsg. Ferdinand Wüstenfeld, 6 Bde., Leipzig 1866–73, i, 822:  قال اين الفقيه: والذهب ينبت في رمل هذه البلاد كما ينبت الجزر وإنه يقطف عند بروغ الشمس . Dass diese Goldpflanzen heutzutage nicht mehr vorkommen, liegt merkwürdigerweise an der Islamisierung des Gebiets, „… for in Ghana and beyond it to the south are the places where gold grows and it has been found by experience that whenever the gold-plant land is taken and Islam and the call to prayer become widespread there the gold plant disappears from it.“ (al-‘Umarī, Al-ta‘rīf, Kairo 1894, 27,6; wohl besser in al-Droubi, A critical edition; beide Ausgaben des arabischen Texts jedoch nicht zur Verfügung; für den Augenblick zitiert aus Corpus of early Arabic sources, 276.)
5. K. al-istibṣār 221:

أخبرنا أناس ممن يزاول المعادن أنّهم‏ أوغلوا في‏ بعضها فانتهوا الى موضع رأوا فيه أمثال الجبال من الفضّة،وإذا وجد في جميع معادن بلاد هذا الملك الندرة من الذهب اصطفاها الملك لنفسه ولم يتركها تخرج من بللده لغيره. و الندرة تكون من أوقية إلى رطل وإنما يتركون أن يخرج من بلادهم من الذهب ما كان رقيقًا، ولو تركوا كل ما يوجد في المعادن يخرج من بلادهم لكثر الذهب بأيدي الناس ولهان.

BIBLIOGRAFIE:
Corpus of early Arabic sources for West African History, Übers. und Hrsg. J.F.P Hopkins & N. Levtzion, Cambridge [1981].
– Djibrīl ibn Nūḥ [=Ps.-Djahiz], Dalā’il al-i‘tibār ʿalā l-khalq wa al-tadbīr, Hrsg. Rāghib al-Ṭabbākh al-Ḥalabī,Aleppo 1928.
– N.N., Kitāb al-istibṣār fī ‘adjāʾib al-amṣār: waṣf Makka wa-‚l-Madina wa-Miṣr wa-bilād al-Maghrib, li-kātib Marrākushī min kuttāb al-qarn as-sādis al-hidjrī (12 m.), Übers. und Kommt. Sa‘d Zaghlūl ‘Abd al-Ḥamīd, A̓lexandrien 1958.
– Al-‘Umarī: Shihāb al-Dīn Ibn Faḍl Allāh al-‘Umarī, Al-ta‘rīf bil-muṣṭalaḥ al-sharīf, Kairo 1894.
– Al-‘Umarī: Al-Droubi, Samīr, A critical edition of and study on Ibn Faḍl Allāh’s manual of secretaryship „al-Ta‘rīf bil-muṣṭalaḥ al-sharīf“, al-Karak 1992.

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Gott erpressen

In einer Erzählung der Prophetenbiografie versucht Mohammed Gott zu erpressen. In der Schlacht bei Badr sieht es eine Weile für Mohammed und seine Kämpfer ganz schlecht aus. Gott hatte Hilfe versprochen, aber diese lässt auf sich warten und der Feind droht die Schlacht für sich zu entscheiden. Darauf betet der Prophet zu Gott und sagte unter anderem: „O Gott, wenn dieser Trupp heute verloren geht, wirst du nicht mehr angebetet!“ Sein Gefährte Abū Bakr findet, dass das zu weit geht und sagt: „Prophet, belästige deinen Herrn nicht ständig mit deinem Gebet! Gott wird bestimmt schon erfüllen, was er versprochen hat.“ Und so geschieht es auch, denn „darauf schlief der Prophet kurz ein und als er aufwachte, sagte er: ,Sei frohen Mutes, Abū Bakr, denn Gottes Hilfe ist gekommen! Hier ist Gabriel und er führt ein Pferd am Zügel mit, das Staub auf seinen Vorderzähnen hat.”’ 1
Hat Gott sich von seinem Gesandten erpressen lassen oder war die Hilfe ohnehin schon unterwegs? Wir wissen es nicht.

Im Dies iræ, einer mittelalterlichen Hymne über das Jüngste Gericht, die noch bis 1971 fester Bestandteil der katholischen Requiem-Messe war, wird Jesus unter Druck gesetzt: Recordare Iesu pie quod sum causa tuæ viæ, ne me perdas illa die …: „Denke daran, lieber Jesus, dass ich der Grund Deines Lebens bin; richte mich an dem Tag nicht zu Grunde!“ Mit anderen Worten: vergib mir meine Sünden und schick mich nicht in die Hölle, denn ohne arme Sünder wie mich hätte es Dich nicht einmal gegeben! Und lass die Mühe Deines Kreuzestodes nicht umsonst gewesen sein: tantus labor non sit cassus.

Ich gehe davon aus, dass diese Art von Erpressung in allen drei westlichen Religionen vorkommt. Bestimmt ist Gott auch in den Diskussionsrunden der Talmudrabbiner gehörig herangenommen worden. Ich werde nicht extra suchen, denn dann findet man nichts, aber ich lasse diesen Beitrag offen für Beispiele, auf die ich irgendwann stoße. Wenn Sie, lieber Leser, eines zur Hand haben oder finden, melden Sie sich bitte.

ANMERKUNG
1. Ibn Ishāq: Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâk bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischâm, Hrsg. F. Wüstenfeld, Göttingen 1858–60, 444; Übersetzung A. Guillaume, The Life of Muhammad, Oxford 1955, 300.

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Aischa: ein Fall von Akkommodation

Es kam eine Frage: „Was sagt der Koran zu Aischa?“1 Meine Antwort lautet: „Nichts, verehrter Leser, gar nichts.“ Sehr vieles, was zur islamischen Religion gehört, steht nun einmal nicht im Koran.

Aischa soll die Lieblingsfrau des Propheten Mohammed gewesen sein. Und so überrascht es nicht, dass Muslime seit Jahrhunderten dennoch immer wieder gemeint haben, etwas über sie in der heiligen Schrift lesen zu können. Koran 24:11 zum Beispiel soll sogar in Bezug auf sie offenbart worden sein:

Diejenigen, welche die große Lüge vorbrachten, sind eine Gruppe unter euch. Glaubt nicht, es sei ein Übel für euch; im Gegenteil, es ist euch zum Guten. Jedem von ihnen soll die Sünde, die er begangen hat[, vergolten werden]; und der unter ihnen, der den Hauptanteil daran hatte, soll eine schwere Strafe erleiden.

Eigentlich gehören auch die nächsten Verse noch dazu:

Warum dachten die gläubigen Männer und Frauen, als ihr es hörtet, nicht Gutes von ihren eigenen Leuten und sprachen: „Das ist eine offenkundige Lüge“?
Warum brachten sie nicht vier Zeugen dafür? Da sie keine Zeugen gebracht haben, sind sie es also, die vor Allah die Lügner sind.
Wäre nicht Allahs Huld und Seine Barmherzigkeit über euch, hienieden und im Jenseits, eine schwere Strafe hätte euch getroffen für das, worin ihr euch einließet.
Als ihr es übernahmt mit euren Zungen und ihr mit eurem Munde das aussprachet, wovon ihr keine Kenntnis hattet, da hieltet ihr es für eine geringe Sache, indes es vor Allah eine große war. [Koran 24:12–15]

Lesen Sie hier etwas zu Aischa? Das gelingt nur, wenn Sie bereit sind eine ganze Erzählung im Kauf zu nehmen, nämlich die Erzählung der „Lüge“ (al-ifk). Diese entstand Jahrzehnte nach dem Koran und geht nicht auf den Propheten zurück, wie man das bei Hadithen gerne hat, sondern auf unterschiedliche Überlieferer. Die Erzählung2 geht so: Während einer Reise bleibt Aischa kurz zurück. Die Karawane zieht weiter ohne zu bemerken, dass sie fehlt. Sie wird von einem Mann zurückgebracht und sofort verbreitet sich das Gerücht, dass dieser die Situation missbraucht habe. Eine Hetzkampagne kommt in Gang, die sogar den Propheten nicht unberührt lässt: Eine Zeitlang ignoriert er Aischa. Letztendlich wird alles gut, weil Gott selbst eingreift und die obigen Koranverse offenbart, in denen Aischa von jeder Schuld freigesprochen wird und den Verleumdern Strafe angedroht wird.
Dies alles „wissen“ wir also aus einer Erzählung, die nicht aus dem Koran, sondern aus der Prophetenbiografie stammt. Sie wird seit Jahrhunderten in Korankommentaren und Prophetenbiografien wiederholt, aber weil deren Verfasser normal sterbliche Menschen waren — Heilige oder Kirchenväter gibt es im Islam nicht — ist niemand daran gebunden.

Wenn eine Erzählung viel Korantext enthält, gibt es grob gesagt zwei Möglichkeiten:

    • 1. Der Korantext steht im Mittelpunkt und die Erzählung dient zur Erklärung des Korantexts. Das heißt Koranexegese (tafsīr).
    • 2. Es gab erst eine Erzählung. Um diese überzeugender oder erbaulicher zu gestalten werden darin Koranverse eingeflochten: Verse, die vielleicht ursprünglich von etwas ganz anderes handelten. Das heißt koranisieren.

Auf jeden Fall wird der Korantext zumindest einige Jahrzehnte älter sein als die Erzählung.

Die Erzählung von Aischas Unschuld diente dazu, der Hetzkampagne wegen ihrer angeblichen Unkeuschheit entgegenzutreten. Aber hat wirklich jemand die blutjunge Frau des Propheten ein oder zwei Jahre nach ihrer Hochzeit mit Schlamm bewerfen wollen? Das muss erst viel später geschehen sein, rückwirkend, als der Prophet längst gestorben war und Aischa politisch aktiv war und sich im Konflikt mit Kalif ‘Alī (reg. 656–661) befand. Die Verfasser bemühen sich sehr, Aischas Unschuld zu beweisen und ziehen dabei alle Register, auch koranische. Einen ursprünglichen Bezug zwischen der Erzählung und den Koranversen sehe ich nicht. Der Koran ist sekundär herangezogen, oder anders gesagt: die Erzählung wurde koranisiert.

Aischa ist längst nicht das einzige Thema, über das Muslime gerne etwas im Koran lesen wüden—und das letztendlich auch tun.

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Mulier amicta sole

Mulier amicta sole

Ich war neugierig, ob auch Christen solche Fälle kennen.  Und in der Tat, bei Maria, der Mutter Jesu, der first lady der Christen, wurde ich gleich fündig. Sie kommt zwar in der Bibel vor: Es gibt die wohlbekannte Weihnachtsgeschichte und noch einige Splitter, aber für die Millionen Marienverehrer war das offensichtlich nicht genug. Deshalb haben sie eine Anzahl Bibelverse neu interpretiert, um ihre Sehnsucht zu erfüllen. In Offenbarung 12:1 erscheint beispielsweise „eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.“ 3 Sie ist hochschwanger und ein Drache mit sieben Häuptern liegt schon auf der Lauer um ihr Kind zu verschlingen, aber das wird gerettet und zu Gott entrückt. Man könnte hier tatsächlich an die Mutter Gottes denken, denn das Kind ist ein „Knabe, der alle Völker weiden sollte mit eisernem Stabe,“ und der eiserne Hirtenstab ist Vers 19:15 zufolge auch das Attribut Christi. Dann hätte der Autor der Offenbarung aber eine ganz andere Auffassung von Jesu und seiner Mutter gehabt als die Evangelisten. Vielleicht hatte er Eva oder die Frau im Allgemeinen im Kopf. Bereits 1. Mose 3:15 sagt ja den Kampf zwischen der Schlange und der Frau vorher.4

Turris davidica

Turris davidica

Noch merkwürdiger ist es, Maria in Hohelied (4:4) entdecken zu wollen, wo „Salomo“ seine Geliebte besingt: „Dein Hals ist wie der Turm Davids (turris davidica), mit Brustwehr gebaut, an der tausend Schilde hangen, lauter Schilde der Starken.“ 5 Auch dieser Vers wird in der katholischen Kirche auf Maria bezogen. Der Bezug zu der erst Jahrhunderte später lebenden Mutter Gottes ist sehr weit hergeholt. Der Vergleichspunkt ist hier wohl die Stärke eines Turms und der Schutz, den er bietet.

Der Bedarf an Mariaversen in der Bibel war offensichtlich so enorm, dass auch dieser Vers zum Zweck der Verehrung herangezogen wurde. Einer Wikipedia-Seite entnehme ich den technischen Terminus, den ich sonst nirgendwo finde: Akkommodation, eine dogmatisch korrekte und liturgisch verwertbare Anwendung eines Schriftwortes auf eine heilige Person oder Sache, die aber im Text selbst keine Stütze findet.

Ein Fall der Akkommodation, den sich auch die Protestanten zu eigen gemacht haben, ist die Entdeckung des Heiligen Geistes, des dritten Glieds der Heiligen Dreifaltigkeit, in den Worten der Schöpfungsgeschichte: „… und Gottes Geist/Wind (Hebr.: ruach) schwebte auf dem Wasser“ (1. Mose 1: 2).6

Ohne Zweifel gibt es noch viele andere Bibelverse, in denen man ganz andere Themen behandelt gesehen hat ohne sich auf den Text stützen zu können.

Muslime und Christen haben andere Herangehensweisen, aber alle bedienen sie sich freimütig in ihrer jeweiligen Heiligen Schrift, wenn sie darin etwas lesen möchten, das diese gar nicht enthält. Zu den Eigenschaften heiliger Schriften gehört offensichtlich, dass sie fast unendlich dehnbar sind, bis weit außerhalb der Grenzen ihres Textes.

 

ANMERKUNGEN
1. Aischa soll die Lieblingsfrau des Propheten Mohammed gewesen sein. Siehe zu ihr hier.
2. Ibn Ishāq: Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâk bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischâm, Hrsg. F. Wüstenfeld, Göttingen 1858–60, 731–739; Übersetzung A. Guillaume, The Life of Muhammad, Oxford 1955, 493–499.
3. Mulier amicta sole et luna sub pedibus eius et in capite eius corona stellarum duodecim. Hier auch das ursprüngliche Griechisch: γυνὴ περιβεβλημένη τὸν ἥλιον, καὶ ἡ σελήνη ὑποκάτω τῶν ποδῶν αὐτῆς, καὶ ἐπὶ τῆς κεφαλῆς αὐτῆς στέφανος ἀστέρων δώδεκα, aber solche Sachen hören sich oft auf Latein viel besser an.
4. Die Wörter „deinem Nachkommen“ (τοῦ σπέρματος ἀυτῆς, de semine eius) werden in Offenbarung 12:17 wieder aufgegriffen „von ihrem Geschlecht“, aber sind lost in translation.
5. Sicut turris David collum tuum, quae aedificata est cum propugnaculis: mille clipei pendent ex ea, omnis armatura fortium. כְּמִגְדַּל דָּוִיד צַוָּארֵךְ, בָּנוּי לְתַלְפִּיּוֹת; אֶלֶף הַמָּגֵן תָּלוּי עָלָיו, כֹּל שִׁלְטֵי הַגִּבֹּרִים.
6. Et spiritus Dei ferebatur super aquas. וְרוּחַ אֱלֹהִים, מְרַחֶפֶת עַל-פְּנֵי הַמָּיִם,

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Der schreiende Hirsch als Gottesbeweis

Mosaikmuseum Istanbul Foto Dick Osseman

Mosaikmuseum Istanbul
Foto Dick Osseman

Ein fünftes Fragment aus dem arabischen, überwiegend christlichen Text Kitāb al-i‘tibār fī al-malakūt von Djibrīl ibn Nūh al-Anbārī,1 eine Sammlung von ungefähr hundert teleologischen Gottesbeweisen (arguments from design), wahrscheinlich aus dem neunten Jahrhundert. Siehe zu dem Büchlein hier. Daraus finden Sie in diesem Bluch Fragmente zum Rüssel des Elefanten, zur Dummheit von Babys, zum Penis des Mannes und zur menschlichen Stimme—alles Gottesbeweise, versteht sich. Heute kommt der Hirsch an die Reihe.

  • „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir,“

heißt es in der Lutherbibel, in Psalm 42:1. Warum ist der Hirsch so durstig; warum schreit er? Schreien tut er ehrlich gesagt nicht, und röhren schon gar nicht, denn es ist eine Ricke. Eine bessere Übersetzung des hebräischen תַּעֲרֹג ist: „lechzt“. Die Bibel erklärt den Durst des Tieres nicht. In der Antike kannte man aber den Grund: weil das Tier eine Schlange gegessen hatte!

Im Buch des Djibrīl ibn Nūh wird ein durstiger Hirsch als Gottesbeweis angeführt:

  • Es wird gesagt, dass ein Hirsch, wenn er Schlangen frisst, danach sehr durstig wird, aber trotzdem kein Wasser trinkt, aus Angst, dass das Gift in seinen Körper kriechen und es töten würde. Er steht also beim Tümpel, von Durst gequält und laut schreiend, aber ohne zu trinken, bis es weiß, dass das Gift zerstreut ist und das Gegessene verdaut ist; erst dann trinkt er. Betrachte, was in der Natur dieses Tieres angelegt worden ist: wie es einen übermächtigen Durst aushält, aus Angst sich durch Trinken Schaden zuzufügen. Dazu kann sich sogar ein vernunftbegabter Mensch kaum zwingen.1

Der Hirsch ist ein Gottesbeweis, weil er sich in einer Lage, in der Trinken schädlich oder gar tödlich wäre, so gut beherrschen kann. Der Autor ist sich sicher, dass das Tier seine Selbstkontrolle mittels einer natürlichen Veranlagung von einem intelligenten Schöpfer empfangen hat.

Hirsche sind heutzutage als pflanzenfressende Wiederkäuer bekannt, aber in der Antike meinten manche Leute tatsächlich, dass sie gerne Schlangen fressen und diese sogar jagen. So schrieb der Römer Älian (Claudius Aelianus; ± 170–222) auf Griechisch ein ziemlich dickes Tierbuch, in dem er viel Aufmerksamkeit richtet auf Tierfeindschaften und auf unwahrscheinliche Kämpfe zwischen Tierarten, wie sie heutzutage bei Youtube wieder populär sind. Er weiß:

  • Ein Hirsch besiegt eine Schlange durch eine außerordentliche Gabe der Natur. Auch die gemeinste Schlange in ihrer Höhle entwischt ihm nicht: Der Hirsch setzt seine Nasenlöcher an den Eingang [der Höhle] der gefährlichen Bestie und bläst darin aus aller Macht, bis er sie mit dem Zauberkraft seines Atems herauszieht; sobald sie ihren Kopf herausstreckt, fängt er an sie zu fressen. Vor allem im Winter machen Hirsche das.
    Es ist sogar vorgekommen, dass jemand das Horn eines Hirschs zu Pulver vermahlen und dann ins Feuer geworfen hat und dass der aufsteigende Rauch die Schlangen aus der ganzen Umgebung vertrieben hat; sogar der Geruch ist ihnen unerträglich.2

Das mit dem Winter ist vorstellbar, weil Schlangen dann wegen der Kälte sehr passiv sind oder sogar Winterschlaf halten. Alles andere entspricht nicht dem, was die moderne Biologie zum Hirsch mitzuteilen hat.

Etwas älter ist der griechische Physiologus, aus dem zweiten Jahrhundert: ein christliches Tierbuch, das der vornehme Heide Älian als minderwertig betrachtet haben dürfte—wenn er es überhaupt kannte. Aber offensichtlich waren Texte über Tiere, gerne auch über kämpfende Tiere, zu der Zeit überall gängig. Hier das Fragment zum Hirsch:

  • David sagt: „Wie der Hirsch nach dem Wasserquell verlangt, so verlangt meine Seele nach dir, o Gott.“ Der Physiologus sagte vom Hirsch, er sei der Todfeind der Schlange. Wenn die Schlange vor dem Hirsch in die Erdspalten flieht, geht der Hirsch hin und füllt seinen Bauch mit Quellwasser und speit es in die Erdspalten; so schwemmt er die Schlange herauf und zertritt und tötet sie.
    So hat auch unser Herr die große Schlange, den Teufel, mit himmlischen Wassern getötet, die er als göttliches Wort voll trefflicher Weisheit in sich trug; die Schlange nämlich kann Wasser nicht ertragen, ebenso wenig wie der Teufel göttliche Worte. [… folgt noch mehr Erbauliches und dann:]
    Wenn man nämlich Haare vom Hirsch im Haus hat oder jemand einen Knochen von ihm verbrennt, wirst du niemals die Witterung oder Spur einer Schlange merken. Denn wenn sich die Furcht Christi in deinem Herzen findet, wird niemals ein schlimmes Gift zu deinem Herzen aufsteigen. (Übers. Schönberger)3

Wie immer gibt der Physiologus seinen Tiergeschichten eine fromme Wendung. Allgemeinbildung oder interessante Fakten interessieren ihn erst, wenn er sie christlich deuten kann.
Das Wasser ist also jetzt da, aber die Verbindung zwischen Schlangenfressen und Durst noch nicht. Die finden wir in der syrischen4 Fassung des Physiologus, die die Araber eher zur Hand gehabt haben dürften als die griechische oder lateinische. Diese Fassung hat in großen Zügen denselben Text wie die weiter oben, einschließlich der Schlangen verscheuchenden Wirkung von verbranntem Hirschhorn, hat aber noch eine Ergänzung, die den Durst des Tiers erklärt:

  • Wenn ein Hirsch eine Schlange frisst, so fängt er bei dem Schwanze an, sie zu fressen, und nimmt sie ganz in seinen Schlund, ihren Kopf aber legt er in seinem Munde zurecht, und so zerbeißt und verschlingt er sie; weil aber der Kopf der Schlange in seinem Gaumen steckt, so speit sie viel Galle aus in seinen Mund, und so, aus diesem Grunde, wird er durstig und schreit nach dem Wasserteiche. (Übers. Ahrens)5

Auch bei dem berühmten Prosaisten und Tiergeschichtenschreiber al-Djāhiz (ca. 776–869), der Muslim war, gibt es einen deutlichen Zusammenhang mit dem Psalmvers. Er zitiert ihn sogar, wenn auch in einer sehr korrupten Fassung:

  • Der Prophet David sagt in den Psalmen: „Meine Sehnsucht nach dem Messias ist wie die eines Hirschs, wenn er Schlangen frisst.“ [Wenn er das tut,] wird er nämlich durch einen großen Durst überwältigt. Man sieht ihn um das Wasser herumgehen, aber vom Trinken wird er abgehalten durch sein Wissen, dass das sein Untergang sein würde. Denn das Gift würde in das Wasser strömen und in Körperöffnungen geraten, die nicht für die Nahrungsaufnahme bestimmt sind. Der Hirsch weiß das nicht aus früherer Erfahrung; nein, [die Kenntnis] existiert schon, wenn er zum ersten Mal Schlangen frisst.6

Hier ist der Ablauf ein etwas anderer, aber es ist offensichtlich, dass Djibrīls Gottesbeweis aus einer langen literarischen Tradition schöpfen konnte.

Wie landeten die Schlangen überhaupt auf dem Menü der Hirsche, schon im 2. Jahrhundert? Liegt ein korrupt überlieferter oder falsch verstandener Text aus der Antike zu Grunde? Oder eine eigenartige Bibelexegese? Nein; die hätte der Heide Älian nicht gekannt. Hat jemand vielleicht den Hirsch mit einer anderen Tierart verwechselt? Oder ist einfach die Fantasie mit jemandem durchgegangen, wie beim Basilisk und beim Einhorn?

Es gibt bestimmt noch andere Texte aus der späten Antike und aus frühislamischer Zeit, die nach schlangenfressenden Hirschen durchsucht werden könnten, aber für einen ersten Eindruck reicht es erst mal. Das Interessante an solchen Texten ist, dass sie zeigen, was die Menschen durch die Jahrhunderte einander weisgemacht haben, wie ihr Gedankengut durch die Kulturen reiste und manchmal tausend Jahre überlebte. Von Babylonien und dem alten Persien nach Athen und  Rom, über die syrische Sprache und Pahlavi ins Arabische und Neupersische des Nahen Ostens; von dort später oft nach Europa. Noch Hildegard von Bingen meinte, dass mit Weihrauch verbranntes Hirschhornpulver die Luftgeister und die „bösen Würmer“ vertreibe. Es ist eine Zivilisation; werden wir sie die westliche Zivilisation nennen?

Auch veröffentlich in zenith, 04/2015.

NACHSCHRIFT: Eine Spezialistin für antike und arabische Tiere weist mich auf Aristoteles, Historia animalium viii (ix) 611b20 hin: Wenn ein Hirsch von einer giftigen Spinne (φαλάγγιον) gebissen wird, geht er Krabben fangen und frisst die als Gegengift.

ANMERKUNGEN:
1. Auch als Dalāʾil al-iʿtibār bekannt. Das Büchlein wird oft al-Djāḥiẓ (ca. 776–869) zugeschrieben. Die erste (unkritische) Ausgabe erschien 1928 in Aleppo.

فقد‏ يقال انّ‏ الأيّل يأكل‏ الحيّات،‏‏ فيعطش‏ عطشًا شديدًا ويمتنع من شرب الماء خوفًا من أن‏ يدبّ‏ السم في جسمه فيقتله‏. وانه‏ ليقف على الغدير وهو مجهود عطشًا فيعجّ‏ عجيجًا‏ عاليًا ولا‏ يشرب منه‏ حتّى‏ يعلم أنّ‏ السمّ‏ قد تفرق‏ ‏ وانّ‏ الذي‏ أكل قد انهضم وحينئذ‏ يشرب‏. ‏ فانظر الى ما جُعل‏ ‏ في‏ طباع هذه البهيمة من الصبر على الظمأ الغالب خوفًا من المضرّة في‏ الشرب‏. وذلك‏ ما لا‏ يكاد الانسان العاقل أن‏ يضبطه من نفسه‏.

2. Aelianus, Nat. anim. ii, 9: Ἒλαφος ὂφιν νικᾷ, κατά τινα φύσεως δωρεὰν θαυμαστήν· καὶ οὐκ αὐτὸν διαλάθοι ἐν τῷ φωλεῷ ὤν ὁ ἔχθιστος, αλλὰ προσερείσας τῇ καταδρομῇ τοῦ δακετοῦ τοὺς ἑαυτοῦ μυκτῆρας βιαιότατα ἐσπνεῖ, καὶ ἓλκει ὡς ἴυγγι τῷ πνεύματι, καὶ ἂκοντα προάγει, καὶ προκύπτοντα ἀυτὸν ἐσθίειν ἂρχεται· καὶ μάλιστά γε διὰ χειμῶνος δρᾷ τοῦτο. ἢδη μέντοι τις καὶ κέρας ἐλάφου ξέσας, εἶτα το ξέσμα ἐς πῦρ ἐνέβαλε, καὶ ὁ καπνὸς ἀνιὼν διώκει τοὺς ὂφεις πανταχόθεν, μηδὲ τὴν ὀσμὴν ὑπομένοντας.
3. Physiologus, S. 48, Nr. 30: Ὁ μὲν Δαυὶδ λέγει· «ὃν τρόπον ἐπιποθεῖ ἡ ἒλαφος ἐπὶ τὰς πηγὰς τῶν ὑδάτων, οὓτως ἐπιποθεῖ ἡ ψυχή μου πρὸς σέ, ὁ Θεός». ὁ Φυσιολόγος ἒλεξε περὶ τῆς ἐλάφου ὃτι ἐχθρὰ τοῦ δράκοντός ἐστι πάνυ. ἐὰν φύγῃ ὁ δράκων ἀπὸ τῆς ἐλάφου εἰς τὰς ῥαγάδας τῆς γῆς, πορεύεται ἡ ἒλαφος καὶ ἐμπιπλᾷ τὰ ἀγγεῖα αὑτῆς πηγαίου ὓδατος καὶ ἐξεμεῖ ἐπὶ τὰς ῥαγάδας τῆς γῆς, καὶ ἀναφέρει τὸν δράκοντα καὶ κατακόπτει αὐτὀν καὶ ἀποκτείνει.
4. Bei syrisch denke man nicht an das moderne Syrien, wo Arabisch gesprochen wird. Syrisch ist eine aramäische, also semitische Sprache, die heute nur noch wenige Sprecher hat, aber in den ersten Jahrhunderten n. Chr. im Nahen Osten weit verbreitet war. Unzählige meist christliche Schriften in Syrisch sammeln in Bibliotheken Staub an, obwohl man sie für eine verantwortungsvolle Geschichtsschreibung eigentlich ständig lesen sollte.
5. Physiologus Syrus, Nr. 17. Syrisch kann ich nicht tippen; der eine Leser, der das Original sehen will, möge sich zur UB begeben oder den Text aus dem Internet herunterladen. Die arabische Fassung des Physiologus (Hrsg. Wentker) enthält dieses Detail nicht.
6. Al-Ǧāḥiẓ, Ḥayawān vii, 29–30:

ومن هذا الباب الذي ذكرنا فيه صِدق إحسان الحيوان ثم اللاتي يضاف منها الى المُوق وينسب الى الغثارة. قال داود النبي عليه السلام في الزبور: شوقي إلى المسيح مثل الأيل إذا أكل الحيات. [والأيل إذا أكل الحيات] فاعتراه العطش الشديد تراه كيف يدور حول الماء ويحجزه من الشرب [منه] علمه بأن ذلك عطبه، لأن السموم حينئذ تجري مع [هذا] الماء، وتدخل مداخل لم يكن ليبلغها الطعام بنفسه. وليس علم الأيل بهذا كان عن تجرية متقدمة، بل هذا يوجد في أول مل يأكل الحيات وفي آخره.

Auch in Ḥayawān iv, 166 nennt al-Ǧāḥiẓ den Hirsch unter den schlangenfressenden Arten: وتأكل الحياتَ العقبان والأيائل والأراويّ والأوعال والسنانير والشاهمرك والقنفذ. „Adler, Hirsche, Bergziegen und -böcke, Katzen, der Stelzenläufer (? shāhmurk) und der Igel.“

BIBLIOGRAFIE:
– Claudius Aelianus, Περὶ ζῴων ἰδιότητος – De natura animalium: On animals, 3 dln., Übers. A.F. Scholfield, Harvard 1958–9 (Loeb Classical Library 446, 448, 449).
Physiologus, Griechisch/Deutsch, Hrsg. u. Übers. Otto Schönberger, Reclam Buch 18124, 2018.
Physiologus syrus: Ketobó dakjonojotó. Das ‘Buch der Naturgegenstände, Hrsg. u. Übers. K. Ahrens, Kiel 1892.
– Al-Ǧāḥiẓ, Kitāb al-Ḥayawān, Hrsg u. Kommt. ʿAbd al-Salām Muḥammad Hārūn, 7 Bde., Kairo 1938–47.

Diakritische Zeichen: Ǧibrīl ibn Nūḥ, al-Ǧāḥiẓ, šāhmurk

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Die Stimme: Gottesbeweis mit Dudelsackvergleich

Wieder ein Fragment aus dem arabischen, überwiegend christlichen Text Kitāb al-iʿtibār fī al-malakūt,1 eine Sammlung von ungefähr hundert teleologischen Gottesbeweisen (arguments from design), wahrscheinlich aus dem neunten Jahrhundert. Siehe zu dem Büchlein hier. Daraus finden Sie in diesem Bluch schon Fragmente zum Rüssel des Elefanten, zur Dummheit von Babys und sogar zum Penis des Mannes—alles Gottesbeweise, versteht sich.

Dieser Text handelt von der menschlichen Stimme als Gottesbeweis. Die genaue Fundstelle behalte ich noch einige Zeit für mich.

  • Betrachte mal die Sprechorgane und die Sprache des Menschen. Der Hals ist wie das Artikulationsrohr, durch das die Stimme nach außen kommt; die Zunge, die Lippen und die Zähne dienen zur Bildung der Sprechlaute und der Melodie. Es ist bekannt, dass Menschen, die ihre Zähne nicht mehr haben, das s nicht produzieren können; jemand mit einer unvollständigen Lippe kann das f nicht richtig bilden und wer eine schwere Zunge hat, kann das r nicht klar aussprechen.
    Die Alten haben das Austreten der Stimme in schöner Manier mit dem Ton des Dudelsacks (al-mizmār al-a‘ẓam) verglichen, nämlich die Kehle mit dem Rohrblatt, die Lungen mit dem Luftsack, der von unterhalb aufgeblasen wird, und die Muskeln, die die Lungen zusammendrücken um die Stimme durch die Kehle austreten zu lassen, mit den Händen, die den Luftsack zusammendrücken um die Luft herauszupressen. Die Lippen und die Zähne, die die Sprachlaute bilden, haben sie mit den Fingern verglichen, die unterschiedliche Positionen auf der Spielpfeife (fam) des Dudelsacks einnehmen, sodass sein Ton Melodien bilden kann.
    Wenn auch das Austreten der Stimme zwecks Erklärung und Unterrichtung mit einem Dudelsack verglichen werden kann, in Wirklichkeit sollte es umgekehrt sein. Denn der Dudelsack ist künstlich, die Stimme dagegen ist natürlich, und es ist das Künstliche das das Natürliche nachahmt. Aber weil das Künstliche sichtbarer und beim großen Publikum besser bekannt ist, ist man dazu gekommen die Verrichtungen der Natur mit denen des Kunstprodukts zu vergleichen, um sie verständlicher und bekannter zu machen.
    Wenn man etwas Künstliches wegen der Genauigkeit und der Weisheit, mit denen es die Natur nachahmt, schon bewundern kann, wie viel mehr Bewunderung verdienen dann die Natur un ihre verfeinerte Verrichtungen. Und wenn der Zufall nicht mal die Produkte des Künstlichen bewirken kann, dann erst recht nicht die der Natur.

Meistens folgt solchen Beispielen noch die rhetorische Frage: „Ist so etwas schönes wirklich auf Zufall zurückzuführen oder steckt doch ein intelligenter Entwerfer dahinter?“ Hier wird der Gottesbeweis nicht ausgearbeitet; die Erwähnung des Zufalls im letzten Satz ist das Einzige, das darauf hinweist.

Von den „Alten,“ die der Text als Quelle anführt, ist einer bekannt. Es ist der nestorianische Kirchenvater Theodoret von Kyrrhos (± 393–460). Sein Περί Πρόνοιας λόγοι δέκα (De providentia orationes decem) enthält einen Vorläufer unseres Textes. Wer diese Webseite liest, wird auch Englisch beherrschen; deshalb mute ich Ihnen gerne die Übersetzung von Halton zu:2

  • 4. [Voice Production Has Affinities With Organ Playing] You, then, who have the gift of speech and dishonor the One who so honors you, consider how the lungs resemble bellows, which the muscles surrounding the thorax press upon, corresponding to the action of the feet in organ blowing, causing it to contract and expand. This transmits the breath through the windpipe, and when compressed, opens the epiglottis and is borne through the throat to the mouth. Speech, then, manipulates the teeth like so many bronze reeds with the tongue and makes them run up and down and glide without effort and with perfect ease.
    5. The salivary gland also helps to facilitate this movement, resembling, as it does, a fount gushing forth moisture. When the constant movement parches the tongue, it needs saliva in moderation to moisten it, make it smooth, and give it freedom of movement. This is how articulate voice comes about: When speech comes in contact with the teeth by means of the tongue, and breath is exhaled, as I have said, and the lips contract, and the air is smitten harmoniously by the emission of the breath, the exhaled breath becomes the vehicle of speech while nature expels the smoky substance as superfluous.

Bei Theodoret ist von einem Dudelsack nicht die Rede, sondern von einer Orgel! In Persien, wo der arabische Text (oder sein syrischer oder pahlavi Vorgänger) entstanden ist, waren Orgel nicht bekannt, so dass der Herausgeber bzw. Übersetzer sich etwas einfallen lassen musste. Sein Versuch der Adaption ist gelungen und bewundernswert.

ANMERKUNGEN
1. Auch als Dalāʾil al-iʿtibār bekannt. Das Büchlein wird oft al-Djāḥiẓ (gest. 868) zugeschrieben. Die erste (unkritische) Ausgabe erschien 1928 in Aleppo.

فكر في‏ آلات الصوت والكلام في‏ الانسان‏. فالحنجرة كالأنبوب لخروج‏ الصوت واللسان والشفتان والأسنان لصياغة الحروف‏ والنغم‏. ألا ترى أنّ‏ من سقطت أسنانه لم‏ يقِم السين ومن نقصت شفته لم‏ يصحّح‏ الفاء،‏ ومن ثقل لسانه لم‏ يفصح‏ الراء. فما أحسن ما مثّل الأوّلون فانّهم شبّهوا مخرج الصوت بالمزمار‏ الأعظم فشبّهوا الحنجرة بقصبة المزمار،‏ وشبّهوا الرئه بالزق الذي‏ ينفخ به من تحته ليدخله الريح،‏ وشبّهوا‏ العضلات التي‏ تقبض على الرئة‏ ليخرج الصوت من الحنجرة‏ بالأكفّ‏ التي‏ تقبض على الزق حتى‏ تجري‏ الريح في‏ المزمار‏. وشبّهوا الشفتين والأسنان التي‏ تصوغ‏ الصوت حروفًا ونغمًا بالأصابع التي‏ تختلف على فم المزمار فيصوغ‏ صفيره ألحانًا‏. غير أنّه وان كان مخرج الصوت‏ يشبه‏ بالمزمار للدلالة والتعريف فانّ‏ المزمار بالحقيقة هو المشبّه بمخرج الصوت،‏ لأنّ‏ المزمار صناعي‏ والصوت طبيعي‏ والصناعة هي‏ التي‏ تحكي‏ الطبيعة‏. ولكنه لما كانت الصناعة أظهر وأعرف عند العامّة من الطبيعة‏‏ صارت أفعال الطبيعة تمثل بأفعال الصناعة‏ لتفهم ويوقف عليها‏. فاذا كانت الصناعة‏ التي‏ قد يتعجّب من اللطف‏ والحكمة فيما‏ تحكي الطبيعة‏ فبالحرى أن‏ يتعجّب من الطبيعة ولطف أفعالها‏. ولئن كان الاهمال‏ يضعف عمّا تأتي‏ به الصناعة لهو عمّا تأتي‏ به الطبيعة أضعف‏.

2. Die englische Übersetzung: Theodoret of Cyrus On Divine Providence, translated and annotated by Thomas Halton, New York/Mawjah NJ, 1988, 34–35. Es lohnt zich Theodoret mal ganz zu lesen. Für die Liebhaber des ursprünglichen griechischen Textes: Das Fragment steht in Migne, Patrologia Græca 83, col. 583:
Ἀρκεῖ δὲ καὶ τοῦτο μόνον τὸ μόριον δεῖξαι τοῦ πεποιηκότος, οὐ τὴν σοφίαν μόνον, ἀλλὰ καὶ τὴν ἄπλητον φιλανθρωπίαν. Ὀργάνῳ γὰρ ἔοικεν ἀπὸ χαλκῶν συγκειμένῳ καλάμων, καὶ ὑπ‘ ἀσκῶν ἐκφυσουμένῳ, καὶ κινουμένῳ ὑπὸ τῶν τοῦ τεχνίτου δακτύλων, καὶ ἀποτελοῦντι τὴν ἐναρμόνιον ἐκείνην ἠχήν. Ἀλλ‘ οὐχ ἡ φύσις παρὰ τῆς τέχνης, ἡ τέχνη δὲ παρὰ τῆς φύσεως ἐδιδάχθη τῆς τερπνῆς ἐκείνης ἠχῆς τὸ μηχάνημα· ἀρχέτυπον γὰρ τῆς τέχνης ἡ φύσις, ἴνδαλμα δὲ τῆς φύσεως ἡ τέχνη.
Ἄθρει τοιγαροῦν ὁ λόγου μὲν τετυχηκὼς, ἀτιμάζων δὲ τῇ τιμῇ τὸν τιμήσαντα, πῶς ὑπόκειται μὲν ὁ πνεύμων δίκην ἀσκοῦ, ἀποθλίβουσι δὲ αὐτὸν, οὐ πόδες ἀνθρώπου, ἀλλ‘ οἱ περικείμενοι τῷ θώρακι μύες, συστέλλοντες αὐτὸν καὶ διαστέλλοντες. Ἀναπέμπει δὲ οὑτοσὶ διὰ τῆς τραχείας ἀρτηρίας τὸ πνεῦμα, τὸ δὲ συνωθούμενον, ἀνοίγει μὲν τὴν ἐπιγλωττίδα, φέρεται δὲ διὰ τοῦ φάρυγγος ἐπὶ τὸ στόμα. Ὁ δὲ λόγος, τῆς γλώττης οἷόν τινος δεξιᾶς ἐπειλημμένος, ταύτην τοῖς ὀδοῦσι καθάπερ τοῖς χαλκοῖς ἐκείνοις προσφέρει καλάμοις, καὶ ἄνω καὶ κάτω διαθέειν καὶ διολισθαίνειν εὐπετῶς καὶ μάλα ῥᾳδίως κατασκευάζει· […] κτλ

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Der Penis als Gottesbeweis

Wieder mal ein Fragment aus dem arabischen, überwiegend christlichen Text von Gibrīl ibn Nūh al-Anbārī,  Kitāb al-i‘tibār fī al-malakūt,1 eine Sammlung von ungefähr hundert teleologischen Gottesbeweisen (arguments from design) aus dem 9. Jahrhundert. Ich hatte hier schon mal etwas zu diesem Text erzählt und ein Fragment zum Rüssel des Elefanten präsentiert. Ein Fragment zur Dummheit von Babys steht hier.

Heute ein Text zum Penis des Mannes:

  • Verflucht seien Epikur und seinesgleichen, denn ihre Herzen sind so blind für diese wunderbare Schöpfung, dass sie deren Entwurf und Zweckmäßigkeit verneinen.
    Wenn das Geschlechtsteil eines Mannes immer schlaff wäre, wie könnte es je den Boden der Gebärmutter erreichen um den Samentropf dort ansässig zu machen? Andererseits, wenn es immer erigiert wäre, wie könnte ein Mann sich dann im Bett umdrehen, oder unter den Menschen herumgehen mit so einem steifen Ding vor sich? Abgesehen davon, dass es hässlich aussähe, es würde ständig Lust wecken unter sowohl Männern als auch Frauen. Das triebe sie dazu ständig miteinander zu schlafen, was auf Dauer zu ihrem Untergang führen würde. Deshalb ist es so vorgesehen, dass es meist schlaff herunterhängt, so dass es nicht ständig ins Auge fällt und lästig wird für den Mann. Aber dem Penis ist auch das Vermögen gegeben, bei Bedarf steif aufrecht zu stehen, nämlich für den Akt, der ständige Fortpflanzung und sein Fortleben gewährleistet.

Der text Text geht auf den guten Aristoteles zurück (De Partibus Animalium 689a25):

  • Dieses Organ ist das einzige, das wachsen und schrumpfen kann, abgesehen von krankheitsbedingten Veränderungen. Dass es größer wird, ist nützlich für den Geschlechtsverkehr, dass es kleiner wird, ist nützlich für den Rest des Körpers, weil es für die anderen Körperteile schwierig wäre, wenn es immer aufstehen würde.

Djibrīl (oder seine Quelle) stellte sich Letzteres offenbar gern konkret vor.

ANMERKUNG
1. Auch bekannt als Dalā’il al-i‘tibār. Das kleine Werk wird zu Unrecht oft al-Ǧāḥiẓ (gest. 868) zugeschrieben. Die erste (unkritische) Ausgabe erschien 1928 in Aleppo.

فتبّاًلافيقورس وأشباهه حين‏ عميت قلوبهم عن هذه الخلقة العجيبة حتّى أنكروا التدبير والعمد فيها‏. لو كان فرج‏ الرجل مسترخيًا أبدًا كيف كان يصل الى قعر الرحم حتى تقرّ النطفة فيه؟‏ ولو كان منعظًا أبدًا كيف كان الرجل يتقلب في الفراش ويمشي بين الناس وشيء شاخص أمامه؟ ثم كان في ذلك مع قبح‏ المنظر تحريك الشهوة في كلّ وقت من الرجال والنساء جميعًا فيدعوهم تحريكهما الى المباضعة، وهذا على الأوان يؤدّيهم الى الهلاك. فقُدّر أن‏ يكون في‏ أكثر ذلك مسترخيًا  لكيلا‏ يبدو للبصر في كلّ وقت ولا يكون على الرجل منه مؤنة وجعلت فيه قوّة‏ علي الانتصاب عند الحاجة الى ذلك لما فيه من دوام النسل وبقاؤه‏.

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Die Dummheit von Babys als Gottesbeweis

Noch ein Fragment aus dem arabischen Text Kitāb al-i‘tibār fī al-malakūt,1 eine Sammlung von ungefähr hundert teleologischen Gottesbeweise  (arguments from design) christlicher Herkunft, wahrscheinlich aus dem 9. Jahrhundert. Ich hatte hier schon mal etwas zu diesem Text erzählt und ein Fragment zum Rüssel des Elefanten als Gottesbeweis gebracht.

Ist der Gottesbeweis nicht längst veraltet? Ja, aber in den USA ist er wieder quicklebendig. Unter Christen, die die Evolutionstheorie ablehnen, läuft er unter Intelligent Design. Und in der islamischen Welt passt er den Konservativen ebenfalls sehr gut, so dass das Al-i‘tibār neu aufgelegt wird und auch im Internet bruchstückweise verbreitet wird. Der Koran ist voller Hinweise auf die Zeichen Gottes in der Schöpfung, so dass der „Markt“ für ausgearbeitete Gottesbeweise noch sehr lange gegeben sein wird. Obwohl die Gattung eigentlich völlig sinnlos ist, denn Gläubige brauchen die Beweise nicht und Ungläubige lassen sich dadurch nicht beeindrucken. Überdies würde der Beweis der Existenz eines Gottes nicht reichen. Man müsste auch noch beweisen, dass der so nachgewiesene Gott etwas mit der Bibel, dem Koran oder anderen verehrten alten Texten zu tun hätte, was völlig unmöglich ist, es sei denn, man glaubt es schon im Voraus.

Hier folgt eine Kostprobe über die Dummheit von Säuglingen. Welche Handschriften ich benutzt habe verrate ich später im Buch.

  • Überdenke mal einen anderen Aspekt der Beschaffenheit des Menschen, und zwar dass er dumm und ohne Vernunft geboren wird. Würde er mit Vernunft und Verständnis geboren, so fände er die Welt bei seiner Geburt derart merkwürdig, wenn er seine neue Umgebung betrachtete und mit Sachen konfrontiert würde, die er noch nie gesehen, dass er vollkommen in Verwirrung geraten und den Kopf verlieren würde. Denke zum Beispiel an einen erwachsenen, welterfahrenen Mann, der als Gefangener vom einen Land ins Andere überführt wird. Er wird dort wie ein verwirrter Idiot sein und nicht so schnell die Sprache lernen und die Manieren aufschnappen wie jemand, der bereits im jugendlichen Alter gefangen genommen wird. Dazu kommt noch Folgendes: Ein intelligent geborener Säugling würde darunter leiden herumgeschleppt, gestillt, in alten Lappen eingepackt und in der Wiege zugedeckt zu werden, obwohl er das alles schon braucht, weil sein Körper bei seiner Geburt so weich und zart ist. Des Weiteren wäre er dann gar nicht mehr so süß und er würde nicht mehr diesen besonderen Platz in den Herzen einnehmen. Aber sowie es jetzt ist, kommt ein Kind dumm auf die Welt, ohne Ahnung von der Sachlage mit allen diesen Verwandten rund um ihn, und er tritt allem mit schwacher Intelligenz und mangelhafter Kenntnis entgegen. Dann nimmt seine Kenntnis ganz allmählich zu, bis er mit den Dingen vertraut wird und Erfahrungen sammelt; dann verlässt er die Phase des verwirrten Sinnierens und fängt an seine eigenen Sachen zu regeln und aktiv seinen Lebensunterhalt zu verdienen.Es gibt noch andere Gesichtpunkte. Wenn ein Mensch mit ausgewachsener Intelligenz und selbständig geboren würde, so würde sowohl der Anlass zur Kindererziehung wie auch das für die Eltern an dieser Tätigkeit vorgesehene Interesse entfallen, weil das Großziehen durch die Eltern nämlich ein Anspruch auf Sorge und Zuneigung von ihren Kindern einbringt, im Augenblick, da sie diese ihrerseits brauchen. Überdies würden dann Kinder und Eltern keine gegenseitigen Bande mehr knüpfen, weil die Kleinen die Erziehung und Fürsorge ihrer Eltern nicht brauchten. Sie stünden schon gleich bei der Geburt auf eigenen Füßen, so dass niemand seine Eltern kennen lernen würde. So würde ein Junge auch nicht davon abgehalten werden Geschlechtsverkehr mit seiner Mutter und Schwester zu haben, weil er diese nicht kennte. Wenn ein Kind den Bauch seiner Mutter vernunftbegabt verließe, wäre das geringste Übel noch, dass er Unerlaubtes von ihr zu sehen bekäme, das er besser nicht gesehen hätte.

Meist steht bei solchen Beispielen noch die rhetorische Frage: Kann ein derart wunderbarer Entwurf wirklich auf Zufall zurückgehen, oder steckt doch ein intelligenter Entwerfer dahinten? Hier fehlt diese Frage, aber Sie können sie hinzudenken und wenigstens anerkennen, dass es schön geregelt ist, so wie es ist.

ANMERKUNG
1. Auch bekannt als Dalā’il al-i‘tibār. Das kleine Werk wird zu Unrecht oft al-Djāhiz (gest. 868) zugeschrieben. Die erste (nicht-kritische) Ausgabe erschien 1928 in Aleppo.

فكر‏ في‏ أمر الانسان‏ في‏ باب‏ آخر وهو‏ ولاده‏‏ حين‏ يولد‏ غبيّاً‏ غير ذي‏ عقل وفهم‏. فانّه لو كان‏ يولد‏ عاقلاً‏ فاهمًا‏‏ لأنكر العالَم عند ولاده‏ حتّى‏ يبقى حيرانًا تائه العقل اذا رأى ما‏‏‏ لم‏ يعرف وورد عليه‏ ما لم‏ ير مثله‏. واعتبر‏‏ ذلك بأن من سبي‏ من بلد الى بلد وهو‏ محتنك يكون كالواله الحيران ولا يسرع‏ في‏ تعلم‏ الكلام‏ وقبول الأدب كما يسرع‏ الذي‏ سبي صغيرًا. ثم كان لو ولد‏ عاقلًا وجد‏ غضاضة أن‏ يرى نفسه محمولاً‏ ومرضعًا معصّبًا بالخرق ومسجىً في المهد،‏ على أنّه كان لا‏ يستغني‏ عن هذا كلّه لرقّة بدنه ورطوبته حين‏ يولد‏. ثم كان لا‏ يوجد له من الحلاوة والموقع في‏ القلوب‏ ما‏ يوجد للطفل.‏ فصار يدخل‏ العالم‏ غبيّاً غافلاً‏ عمّا فيه أهله فيلقي‏ الأشياء بذهن ضعيف ومعرفة ناقصة‏. ثم لا‏ يزال‏ يتزيّد في‏ المعرفة قليلاً‏ قليلاً‏ وشيئًا بعد شيء حتى‏ يألف الأشياء ويتمرّن‏ عليها فيخرج من حد التأمّل لها والحيرة‏ فيها‏ الى التصرّف في‏ الأمور‏ والاضطراب في‏ المعاش‏.

‏وفي هذا أيضًا‏ وجوه أخر،‏ فأنّه لو كان‏ يولد‏ تام العقل مستقلاً‏ بنفسه لذهب موضع تربية الأولاد وما دبّر‏ أن‏ يكون للوالدين في‏ الاشتغال به من المصلحة وما توجب التربية للآباء على البنين‏ من المكافأبة بالبرّ‏ والعطف عند حاجتهم الى ذلك منهم‏. ثم كان الأولاد لا‏ يألفون آباءهم ولا الآباء‏ يألفون‏ أبناءهم لأنّه كان‏ الأولاد‏ يستغنون عن تربية الأباء وحياطتهم فيتفرّقون عنهم حين‏ يولدون‏ حتّى لا‏ يعرف الرجل أباه وأمّه. ولا‏ يمتنع من نكاح أمّه وأخته إذ كان لا‏ يعرفها‏. وأقلّ‏ ما كان‏ يكون في‏ ذلك أن يخرج‏‏ من بطن أمّه‏ وهو يعقل فيرى منها ما‏ لا‏ يحلّ‏ له‏ ولا‏ يحسن به أن‏ يراه‏.

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Der Rüssel als Gottesbeweis

Manchmal arbeite ich an der Herausgabe eines arabischen Textes, Kitāb al-i‘tibār fī al-malakūt,1 wohl datierend auf ca. 850, der ungefähr hundert teleologische Gottesbeweise enthält (arguments from design).
Die Gottesbeweise laufen meist wie folgt. Erst kommt die Beschreibung von etwas in der Schöpfung, was besonders kompliziert oder zweckmäßig oder schön ist. Darauf wird gesagt, dass etwas so Kompliziertes usw. doch unmöglich durch Zufall zu Stande gekommen sein könne, und dass also ein intelligenter Entwerfer dahinter stecken müsse. In diesem Text wird dieser nicht Gott genannt, sondern der Schöpfer, der Entwerfer u.Ä..
Ist der Gottesbeweis nicht längst veraltet? Ja, aber in den USA ist er wieder quicklebendig. Unter Christen, die die Evolutionstheorie ablehnen, läuft er unter Intelligent Design. Und in der islamischen Welt passt er den Konservativen auch sehr gut, so dass das Kitāb al-i‘tibār neu aufgelegt wird und auch im Internet bruchstückweise verbreitet wird. Der Koran ist voller Hinweise auf die Zeichen Gottes in der Schöpfung, so dass der „Markt“ für ausgearbeitete Gottesbeweise noch sehr lange gegeben sein wird.

Warum sitze ich an einem Text mit solch altem Kram? Nicht um etwa doch noch die Existenz Gottes zu beweisen, sondern weil es interessant ist zu sehen, wie Texte seit der Antike zirkulierten und ständig wiederholt und neu überarbeitet wurden. Mein Text ist nämlich gar nicht islamisch, sondern vielmehr christlich, mit einem gehörigen Schuss Antike. Spuren von Xenophon und Cicero findet man darin, aber auch Gedankengut aus De providentia vom Kirchenvater Theodoret (393–±460). Das Kompendium ist irgendwann ins Syrische übertragen worden, und ins Mittelpersische, und von dort ins Arabische. Es muss Leser gegeben haben, die das Büchlein in seiner ältesten Fassung nicht islamisch genug fanden, denn eine etwas mehr islamisierte Überarbeitung ist auch bewahrt geblieben.
Die Sammlung ist also interessant weil sie die Möglichkeit bietet, die Überlieferung alter griechischen Texte in arabischer Übersetzung zu verfolgen. Manchmal kann mit Hilfe des Arabischen ein mangelhaft überlieferter griechischer Text besser verstanden, oder ein im griechischen Original nicht mehr existierender Text sichergestellt werden. Und auf jeden Fall wird mal wieder ersichtlich, wie die westliche Kultur im Laufe der Jahrhunderte einen großen Kreis beschrieben hat: von Griechenland und Rom über Syrien und Irak nach Spanien und Sizilien. In Europa tat man daraufhin, als hätte man alles nur direkt von den Griechen übernommen oder selbst erfunden; ein Übel, von dem wir immer noch nicht ganz frei sind.

Hier folgt eine Kostprobe aus der ältesten Fassung, und zwar zum Rüssel des Elefanten. Welche Handschriften ich benutzt habe verrate ich später mal.

  • Schau doch mal auf den Rüssel des Elefanten, wie subtil der entworfen worden ist. Diesem Tier ersetzt er eine Hand um Futter und Wasser aufzunehmen und zu seinem Magen zu bringen. Ohne ihn hätte er nichts vom Boden aufnehmen können, denn er hat keinen Hals, den er hätte ausstrecken können, wie die anderen Pflanzenfresser. Aber weil ihm kein Hals gegeben worden war, wurde ihm stattdessen der lange Rüssel beschert, den er herunterhängen lassen kann um hochzuheben was er braucht. Dieser ist hohl gemacht, so dass dadurch Futter und Wasser zu seinem Magen gebracht werden können. Überdies ist er seine Waffe, mit dem er geben und nehmen, sich verteidigen und angreifen kann.
    Und wer ist derjenige, der ihm etwas als Ersatz für das fehlende Körperteil gegeben hat, wenn nicht der gütige Schöpfer? Wie hätte so etwas durch Zufall zu Stande kommen können, wie die Sünder behaupten?
    Wenn du jetzt fragst: Warum hat er ihn nicht mit einem Hals erschaffen, wie die anderen Pflanzenfresser auch? so antworten wir nach dem Maße unserer Kenntnis und sagen: Der Kopf und die Ohren eines Elefanten sind enorm groß und sehr schwer. Wenn diese auf einem Hals ruhen würden, würde er sie nicht tragen können und zerbrechen. Um das zu verhindern, ist der Kopf unmittelbar am Körper befestigt, und anstatt eines Halses ist für ihn also der Rüssel erschaffen worden, mit dem er sein Futter aufnehmen und auch ohne Hals alle seine Bedürfnisse erfüllen kann.

Weitere Gottesbeweise: Der Drache und die Wolken Die Giraffe Der Schöpfer beugt Inflation vor Der schreiende Hirsch Die Stimme. Ein Gottesbeweis mit Dudelsackvergleich Der Penis als Gottesbeweis Die Dummheit von Babys als Gottesbeweis

ANMERKUNG
1. Auch bekannt als Dalā’il al-i‘tibār. Das kleine Werk wird oft al-Ǧāḥiẓ (gest. 868) zugeschrieben. Die erste (nicht-kritische) Ausgabe erschien 1928 in Aleppo.

أنظر الى مشفر الفيل وما فيه من لطف التدبير فانّه صار يقوم له مقام اليد في تناول العلف والماء وايرادهما جوفه. فلولا ذلك لما استطاع أن يتناول شيئًا من الأرض، فانّه ليست له عنق يمدّها كسائر الأنعام. فلمّا عدم العنق أخلف عليه مكان العنق ذلك الخرطوم الطويل ليسدله ويتناول به حاجته. وجُعل أجوف لأنّه وعاء لما يحمل الى صدره من طعامه وشرابه وأيضًا فهو سلاحه وبه يعطي ويتناول ويقابل ويصول . فمن الذي عوّضه مكان العضو الذي عدمه ما يقوم له مقامه الاّ الرؤوف بخلقه؟ وكيف يأتي مثل هذا بالاهمال كما قال الظلمة؟ فان قلت: ما باله لم يخلق ذا عنق كسائر الأنعام؟ أجبنا بمبلغ علمنا فقلنا: انّ رأس الفيل وأذنيه أمر عظيم وثقل ثقيل، فلو كان ذلك على عنق لهدّها وأوهنها. فجعل رأسه ملصقًا بجسمه لكيلا يناله منه شيء مما وصفنا وخلق له مكان العنق هذا المشفر يتناول به غذاءه فصار مع عدمه العنق مستوفيًا ما فيه بلوغ حاجته.

Vgl. Arist. PA 658b-659a; Physiologus syr. no. 10; Basil. Hom IX, 85D-86A, Übers. 133

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