Gott erpressen

In einer Erzählung der Prophetenbiografie versucht Mohammed Gott zu erpressen. In der Schlacht bei Badr sieht es eine Weile für Mohammed und seine Kämpfer ganz schlecht aus. Gott hatte Hilfe versprochen, aber diese lässt auf sich warten und der Feind droht die Schlacht für sich zu entscheiden. Darauf betet der Prophet zu Gott und sagte unter anderem: „O Gott, wenn dieser Trupp heute verloren geht, wirst du nicht mehr angebetet!“ Sein Gefährte Abū Bakr findet, dass das zu weit geht und sagt: „Prophet, belästige deinen Herrn nicht ständig mit deinem Gebet! Gott wird bestimmt schon erfüllen, was er versprochen hat.“ Und so geschieht es auch, denn „darauf schlief der Prophet kurz ein und als er aufwachte, sagte er: ,Sei frohen Mutes, Abū Bakr, denn Gottes Hilfe ist gekommen! Hier ist Gabriel und er führt ein Pferd am Zügel mit, das Staub auf seinen Vorderzähnen hat.”’ 1
Hat Gott sich von seinem Gesandten erpressen lassen oder war die Hilfe ohnehin schon unterwegs? Wir wissen es nicht.

Im Dies iræ, einer mittelalterlichen Hymne über das Jüngste Gericht, die noch bis 1971 fester Bestandteil der katholischen Requiem-Messe war, wird Jesus unter Druck gesetzt: Recordare Iesu pie quod sum causa tuæ viæ, ne me perdas illa die …: „Denke daran, lieber Jesus, dass ich der Grund Deines Lebens bin; richte mich an dem Tag nicht zu Grunde!“ Mit anderen Worten: vergib mir meine Sünden und schick mich nicht in die Hölle, denn ohne arme Sünder wie mich hätte es Dich nicht einmal gegeben! Und lass die Mühe Deines Kreuzestodes nicht umsonst gewesen sein: tantus labor non sit cassus.

Ich gehe davon aus, dass diese Art von Erpressung in allen drei westlichen Religionen vorkommt. Bestimmt ist Gott auch in den Diskussionsrunden der Talmudrabbiner gehörig herangenommen worden. Ich werde nicht extra suchen, denn dann findet man nichts, aber ich lasse diesen Beitrag offen für Beispiele, auf die ich irgendwann stoße. Wenn Sie, lieber Leser, eines zur Hand haben oder finden, melden Sie sich bitte.

ANMERKUNG
1. Ibn Ishāq: Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâk bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischâm, Hrsg. F. Wüstenfeld, Göttingen 1858–60, 444; Übersetzung A. Guillaume, The Life of Muhammad, Oxford 1955, 300.

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Dreihundert und

Im Film 300 versuchen dreihundert Spartaner und noch einige andere Griechen in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.) einer großen persischen Übermacht Paroli zu bieten. Die Zahl 300 wird schon beim griechischen Autor Herodot (± 480–425 v. Chr.) erwähnt.1

Dieselbe Zahl kommt auch in der Bibel vor: in der Gideonerzählung, im Buch der Richter.2 Auch dort wird von einer kleinen Schar von erlesenen Kriegern erzählt, die sich gegen eine Übermacht von Midianitern, gewaltig „wie eine Menge Heuschrecken,“ aufgestellt habe. In der Nacht vor der Schlacht hat jemand im feindlichen Lager einen Albtraum, nämlich dass Gideon siegen und das ganze Lager ihm in die Hände fallen wird. Der Sieg des kleinen Trupps wird mit ausdrücklicher Hilfe Gottes errungen.
Richter datiert, so viel ich weiß, auf ± 1000 v. Chr. und ist also erheblich älter als die griechische Erzählung. Dass Herodot das Buch der Richter gekannt hätte, das auf Hebräisch geschrieben ist und zu seiner Zeit nur von Juden in Mesopotamien und Palästina gelesen wurde, ist unwahrscheinlich. Er muss von sich aus auf die Zahl 300 gekommen sein, oder die Erzählung ist in irgendeiner abgeleiteten Form in der alten Welt zirkuliert.

Mit Sicherheit abhängig von der Bibel oder einer jüdischen Bearbeitung der Gideonlegende waren jedoch die arabischen Erzähler, die über Mohammeds Schlacht bei Badr berichteten.3 Dreihundert und noch einige Anhänger des Propheten, als Muslime grundsätzlich Elitekämpfer, überfallen dort eine erheblich stärkere Karawane der noch heidnischen Quraisch. Im feindlichen Lager hat jemand in der Nacht vor der Schlacht einen Traum, in dem die Niederlage vorhergesagt wird; genau so wie in der Gideonerzählung. Auch hier gelingt es der kleinen Schar, mit Gottes Hilfe die größere Gruppe zu besiegen.
Die ± 300 Mann, die Übermacht des Feindes, der Traum und die Hilfe Gottes: So viele Übereinstimmungen können kein Zufall sein; darauf hat Von Mžik bereits vor einem Jahrhundert hingewiesen.4 Es ist abermals ein Beispiel des jüdisch-christlichen Einflusses auf die Biographie des Propheten Mohammeds.

Wie zahlreich sollten, erzähltechnisch betrachtet, die Gegner bei Badr sein? Es sollten nicht so unwahrscheinlich viele wie bei Gideon sein; die Erzählkunst hatte im Lauf der Jahrhunderte schon Fortschritte gemacht. Dass ein Muslim einem Heiden überlegen ist, ist selbstredend. Dass er auch zwei schafft, liegt nahe: durch die Kraft seines Glaubens nämlich.5 Aber zehn, zum Beispiel, wäre wirklich zu viel; dann würde die Erzählung in eine andere Gattung abdriften. Figuren wie Superman, Asterix und Obelix, Bud Spencer und Terence Hill werden mit unbeschränkten Zahlen von Gegnern fertig, aber sie sind deutlich in fantastischen Erzählungen zu Hause. Und die sind ziemlich fade, weil darin die Kämpfe nicht spannend oder real vorstellbar werden. Die Gegner bei Badr belaufen sich auf insgesamt 950; das bedeutet: ein Muslim auf etwas mehr als drei Heiden. Das ist grenzwertig und neigt schon einigermaßen zum Fantastischen, aber wird es doch nicht. Die Erzählung will uns ja klar machen, dass die Schlacht mit Gottes Hilfe gewonnen worden sei, und in den Augen sowohl des Erzählers als der ersten Hörer ist daran nichts Fiktives oder Fantastisches. Die Wahrscheinlichkeit ist so für sie gerade noch nicht beeinträchtigt.

ANMERKUNGEN
1. Herodot, Historiae vii, 205.
2. Richter 7:2–22.
3. Ibn Isḥāq, in: Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâk bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischâm, […] hrsg. F. Wüstenfeld, 3 Bde., Göttingen 1858–60, S. 428–9, 506, 516 (Arabische Texte). In englischer Übersetzung: A. Guillaume, The Life of Muhammad, A Translation of Isḥāq’s (so!) Sīrat Rasūl Allāh, Oxford 1955, S. 290, 336, 340.
4. Hans von Mžik, ‘Die Gideon-Saul-Legende und die Überlieferung der Schlacht bei Badr. Ein Beitrag zur ältesten Geschichte des Islām,’ Wiener Zeitschift für die Kunde des Morgenlandes 29 (1915), S. 371–383.
5. Das bestätigt ein Hadith: Muslim, @@@, @@@

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