Enthaarungspaste

Wer hat die Enthaarungspaste erfunden? Das waren die Teufel und sie taten es auf Verlangen König Salomos. Dieser bekam nämlich Besuch der Königin von Saba, Bilqis, die behaarte Beine hatte, was er unattraktiv fand. Die Beine bekam er zu sehen, als sie über einen gläsernen Palastboden schritt und dabei ihr Kleid hochzog. So erzählt es wenigstens der arabische Autor ath-Tha‘labī (gest. 1035) in seinem Qisas al-anbiyā’ (Prophetenerzählungen)

  • Die Teufel hatten sich gegen Bilqis verschworen und Sulaimān (Salomo) von ihr erzählt: „Ihre Füße sind wie Eselspfoten und sie hat behaarte Beine, weil ihre Mutter eine Dschinnin war.“ Sulaimān wollte die Wahrheit wissen und ihre Füße und Beine sehen, und deshalb befahl er den Palast zu bauen.
    […]
    Als Bilqis kam, sagte man zu ihr: „Tritt in den Palast ein!“ Als sie [den Boden] sah, meinte sie, es sei eine Wasserfläche, also entblößte sie ihre Unterschenkel, um [das Wasser] zu durchwaten und auf Sulaimān zuzugehen. Dieser betrachtete sie und fand, dass sie prächtige Beine und Füße habe, nur dass ihre Beine behaart seien. Als Sulaimān das sah, wandte er sich ab und rief ihr zu, es sei nur ein Palast, der mit Glasplatten ausgelegt sei, und kein Wasser.
    […]
    Die Gelehrten sind sich nicht einig über das, was ihr widerfuhr, als sie sich Gott ergeben hatte. Die meisten sagten, Sulaimān habe sie danach heiraten wollen, aber habe gegen ihre dichte Beinbehaarung einen Widerwillen gespürt und gedacht: „Ist das hässlich!“ Darum habe er die Menschen nach einem Mittel gefragt, um sie zu entfernen, und sie sagten: „Ein Rasiermesser.“ Die Frau aber sagte: „Eisen hat mich noch nie berührt.“ Also habe Salomo darauf verzichtet, denn er habe gemeint, es schneide in ihr Bein. Dann habe er die Dschinn gefragt, die sagten: „Wir wissen es nicht.“ Darauf habe er die Teufel gefragt, aber diese hätten gelogen und auch gesagt: „Wir wissen es nicht.“ Als er aber stark darauf gedrungen habe, hätten sie gesagt: „Wir werden schon etwas finden, so dass ihre Beine blank wie Silber werden.“ Darauf hätten sie ihr eine Enthaarungspaste und ein Bad bereitet. (Ibn ʿAbbās sagt, das sei das erste Mal gewesen, dass eine Enthaarungspaste gesehen worden sei.) Dann heiratete Sulaimān sie.1

Wir haben es hier mit einem Stück Koranauslegung des Typs Midrasch zu tun (s. Tafsīr: Erweiterung). Bei den Christen ist diese Gattung nicht bekannt, aber bei den Juden schon. Als Grundlage wird ein Vers oder Fragment aus der Schrift genommen und drumherum wird eine Erzählung gebaut. Zu Grunde liegt in diesem Fall der folgende Koranvers:

      • Man sagte zu ihr: „Tritt in den Palast ein!“ Als sie [den Boden] sah, meinte sie, es sei eine Wasserfläche und entblößte ihre Unterschenkel. [Sulaimān] sagte: „Es ist ein Palast, der mit Glasplatten ausgelegt ist.“ Sie sagte: „Mein Herr! Ich habe gegen mich selber gesündigt. Ich ergebe mich nun zusammen mit Salomo Gott, dem Herrn der Menschen in aller Welt.“ 2

An diesem einen Koranvers hängt für die Muslime die ganze Erzählung über die behaarte Beine und das Mittel dagegen. In der obigen Übersetzung habe ich die Koranzitate kursiviert. Die Erzählung über Sulaimān und Bilqis ist viel länger, auch im Koran. Natürlich gehört sie zu den Legenden jüdischen Ursprungs (isrā’īlīyāt).3 Die islamischen Fassungen der Prophetenerzählungen gehen zurück auf die Erzähler aus dem ersten Jahrhundert des Islams, die den Auftrag hatten den Koran auszulegen und über den Propheten zu erzählen, aber auch über die früheren Propheten, wie Sulaimān einer war. Später wurden die Erzähler weniger geschätzt und es kamen die seriösen Schriftgelehrten, die ‘ulamā’, an die Reihe.

Ath-Tha‘labī schrieb einen seriösen Korankommentar, aber daneben noch sein berühmtes Buch Prophetenerzählungen, in dem er, wie er selber sagt, das Material habe loswerden können, das für den Kommentar nicht gut genug war. Die obige Erzählung fand er also schon zweitrangig. Trotzdem hat er — und haben die Muslime aller Jahrhunderte — die Prophetenerzählungen nicht wegwerfen wollen. In der Tat sind sie dazu viel zu unterhaltsam. Überdies ist zu bedenken, dass seriöse Korankommentare doch auch nicht selten auf Material von solchen Erzählern basieren, wenn es auch gesäubert, abgeflacht und in theologisch korrekte Form gebracht ist.

ANMERKUNGEN:
1. Der Text ist aus der Sulaimānerzählung in aṯ-Ṯaʿlabī, Qiṣaṣ al-anbiyāʾ. Ausgabe und Seitenzahl zu nennen hat wenig Sinn, weil es unzählige Ausgaben gibt, alle gleich unkritisch.
2. Koran 27:44: ‎قِيلَ لَهَا ادْخُلِي الصَّرْحَ فَلَمَّا رَأَتْهُ حَسِبَتْهُ لُجَّةً وَكَشَفَتْ عَنْ سَاقَيْهَا قَالَ إِنَّهُ صَرْحٌ مُمَرَّدٌ مِنْ قَوَارِيرَ قَالَتْ رَبِّ إِنِّي ظَلَمْتُ نَفْسِي وَأَسْلَمْتُ مَعَ سُلَيْمَانَ للهِ رَبِّ الْعَالَمِينَ
3. Bei Ginzberg, The Legends of the Jews. Klicken Sie hier; dann scrollen Sie weiter bis zu den Wörtern „Benaiah conducted the queen to Solomon,“ dann haben Sie es. Für die Quellennachweise brauchen Sie schon Ginzbergs gedrucktes Werk.

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Ausländischer Wolf

Ein Fragment aus einer Prophetenerzählung von at-Tha‘labī:

In Koran 12:17 sagen Josephs Brüder, nachdem sie ihn in der Wüste zurückgelassen haben, zu ihrem Vater Jakob: وتركنا يوسف عند متعنا فأكله الذئب , wir […] ließen Joseph bei unseren Sachen zurück. Da fraß ihn ein Wolf. Die Erzählung fantasiert darum herum:

  • [Jakob] sagte zu ihnen: „Wenn es wahr ist, was ihr sagt, daß der Wolf Joseph gefressen hat, wo ist dann der Wolf? Bringt ihn her!“ Da gingen sie hin, nahmen ihre Stricke und Stöcke, zogen in die Wüste, jagten einen Wolf, packten ihn und fesselten ihn. Dann brachten sie ihn zu Jakob und legten ihn vor ihn hin.
    [Dann … stellte Jakob den Wolf zu Rede … .] Da redete der Wolf und sagte: „Nein, bei der Wahrheit deiner grauen Haare, Prophet Gottes! Ich habe deinen Sohn nicht gefressen. Euer Fleisch und Blut, ihr Propheten, ist uns verboten. Ich bin, fürwahr, ein Wolf aus dem Land Ägypten.“ Da sagte Jakob zu ihm: „Und was hat dich in das Land Kanaan geführt?“ Er sagte: „Ich bin gekommen, um Wölfe, die mit mir verwandt sind, zu besuchen!“1

Der jüdische Ursprung (isrā’īlīyāt) des Motivs ist offenkundig, es basiert auf 1. Mose 37:33–35. Jedoch die Legende des sprechenden Wolfs bei Ginzberg2 ist seiner Meinung nach arabischen Ursprungs. Hier habe ich etwas grob sein archaisierendes Englisch übersetzt. Der Wolf hat in dieser Fassung eine schöne weinerliche Ausrede. 

  • … stand Jakob auf und sprach zu seinen Söhnen, mit Tränen in den Augen: „Los, nehmt eure Schwerter und Bogen, geht aus ins Feld und sucht; vielleicht findet ihr den Körper meines Sohnes und bringt ihn mir, so dass ich ihn begraben kann. Haltet auch Ausschau nach wilden Tieren und fangt das Erste, dem ihr begegnet, packt es und bringt es hierher! Vielleicht wird Gott mit mir in meinem Kummer Mitleid haben und wird das Tier, das mein Kind gerissen hat, in eure Gewalt bringen, so dass ich mich an ihm rächen kann.“
    Am nächsten Morgen zogen Jakobs Söhne aus, um die Bitte ihres Vaters zu erfüllen, während dieser zu Hause blieb und um Joseph trauerte. In der Wildnis fanden sie einen Wolf, den sie fingen und lebendig zu Jakob brachten, mit den Worten: „Hier ist das erste wilde Tier, dem wir begegnet sind; wir haben es mitgebracht, aber vom Körper deines Sohnes haben wir keine Spur gefunden.“ Jakob packte den Wolf und sprach mit vielem Aufhebens: „Warum hast du meinen Sohn Joseph gefressen, ohne jede Furcht vor dem Gott der Welt und ohne Rücksicht auf das Leid, das du mir antun würdest? Ohne Grund hast du meinen Sohn gefressen; er hatte sich nicht eines Vergehens schuldig gemacht, und die Verantwortung für seinen Tod hast du auf mich abgewälzt. Aber Gott rächt denjenigen, der verfolgt wird.“
    Um Jakob zu trösten, öffnete Gott den Mund des Tieres: „So wahr der Herr lebt, der mich erschaffen hat, und so wahr du lebst, mein Herr: Ich habe deinen Sohn weder gesehen noch gerissen. Ich bin aus einem Land weit von hier gekommen, um meinen eigenen Sohn zu suchen, der ein Schicksal erlitten hat wie der deinige. Er ist verschwunden und ich weiß nicht, ob er tot ist oder lebt, und deshalb bin ich vor zehn Tagen hierher gekommen um ihn zu suchen. Als ich heute auf der Suche war, begegneten mir deine Söhne, sie packten mich und brachten mich zu dir, wodurch sie meinen Schmerz über meinen verlorenen Sohn noch vergrößerten. Dies ist meine Geschichte – und jetzt, Menschenkind, bin ich in deinen Händen. Du kannst dich meiner entledigen, wie es dir gut dünkt, aber ich schwöre bei dem Gott, der mich erschaffen hat: Ich habe deinen Sohn nicht gesehen und ihn nicht gerissen; nie ist mir Menschenfleisch in den Mund gekommen.“ Verwundert über das, was der Wolf gesagt hatte, ließ Jakob ihn ungehindert seines Weges gehen, aber er trauerte wie zuvor über seinen Sohn Joseph.

 

ANMERKUNG:
1. At-Tha‘labī, Qiṣaṣ al-anbiyāʾ, Cairo 1347 (= 1929), S. 81.

فقال لهم يعقوب: إن كنتم صادقين أنّ الذئب أكله فأين الذئب؟ أتوني به! فعمدوا الى حبالهم وعصيهم فأخذوها ومضوا الى الصحراء فاصطادوا ذئبًا وشدّوه وأوثقوه كتافًا، ثم حملوه الى يعقوب وأوقفوه بين يديه. فقال: حلّوا عقاله فحلّوه. فقال له يعقوب: أقبلْ فأقبل الذئب يتخطّى القوم حتى وقف بين يدي يعقوب منكسًا رأسه. فقال له يعقوب: أيّها الذئب أكلت ولدي وقرّة عيني وحبيب قلبي وثمرة فؤادي، لقد أورثتني حزنًا طويلاً وألمًا عظيمًا. قال فتكلّم الذئب قال: لا وحقّ شيبتك يا نبي الله ما أكلت لك ولدًا وإن لحومكم ودماءكم معشر الأنبياء لمحرّمة علينا. وإني لمظلوم مكذوب عليّ، وإني لذئب غريب من بلاد مصر. فقال يعقوب: وما أدخلك أرض كنعان؟ قال: جئت لأجل قرابة لي من الذئاب أزورهم وأصلهم.
(الثعلبي، قصص الأنبيا المسمّى بالعرائس، القاهرة ١٣٤٧، ص ٨١)

Übersetzung Heribert Busse, Islamische Erzählungen von Propheten und Gottesmännern. Qisas al-anbiya‘ oder ‚Ara’is al-magalis, Wiesbaden 2006, S.153.
2. Louis Ginzberg, The Legends of the Jews, Philadelphia 1954–59, i, 28–9, online hier; v, 332 Anm. 66: Yashar Wa-Yesheb, 85a–85b. „This legend seems to be of Arabic origin, since in genuinely Jewish legends animals do not speak.“

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