Sindbad der Seefahrer

Sindbad der Seefahrer ist ein meiner Favoriten aus Tausend und eine Nacht.
Sieben Mal schifft sich Sindbad (Sindibād) im Irak ein gen Osten. Sieben Mal erleidet er Schiffbrüche, unbekannte Seen, gefährliche Tieren und Monster, und die bizarren oder grausamen Gewohnheiten irgendwelcher Eingeborene. Und alle sieben Male ist er beherzter als seine Reisegefährten und weiß er sich wieder zu retten—sei es natürlich mit göttlichem Beistand. Nach sieben Reisen hat er es satt und lebt er noch lange und glücklich mit der Gattin und mit dem enormen Reichtum, den er so ganz nebenbei erworben hat—und mit einem guten Freund.
Sindbad ist ein Vorläufer der späteren europäischen Seefahrer. Er zieht ostwärts im Rahmen der Indienfahrt, die seit dem neunten Jahrhundert aus Basra und Sīrāf betrieben wurde. Indien, Indonesien und China wurden regelmäßig durch Schiffe aus dem Abbasidenreich angelaufen, die voll geladen mit Spezerei, Edelsteinen und allerlei anderen exotischen Sachen zurückkehrten. Die Schiffskapitäne bildeten, wenigstens in diesen Erzählungen, eine Art informelle Ostindische Kompagnie, in der es idyllisch zugeht. Wo auch immer Sindbad an Land geschwemmt wird oder festläuft, immer kommt ein arabisches Schiff mit einer hilfsbereiten Bemannung vorbei. Manchmal liegt an Bord noch Ware von ihm. Sobald er nachgewiesen hat, dass die ihm gehört, werden ihm die sorgfältig aufbewahrten Güter zurückgegeben und er bekommt eine freie Fahrt nach Hause.
Zu den Schätzen, die die Indienfahrt einbrachte, gehörten auch Erzählungen. Der „geheimnisvolle Orient“ ist nicht von europäischen Orientalisten erfunden worden; sie existierte seit Jahrhunderten im arabischsprachigen Raum und wurde von einem Publikum gefront, das sich durch fantasievolle Reiseberichte und -erzählungen sowohl unterrichten wie auch amüsieren ließ. Erzählungen wie die von Sindbad, über Abenteuer und über die „Wunder Indiens“, haben die Araber Jahrhunderte lang fasziniert. Im Grunde sind sie nicht so anders als das, was europäische Reiseschriftsteller einige Jahrhunderte später über ihre erschröcklichen Abenteuer zu melden hatten.
Vertraut wirken Sindbads Beweggründe für seine Reisen. Die erste Reise unternimmt er, weil er fast bankrott ist; später, wenn er sein Vermögen längst gesichert hat, fährt er aus Verlangen „Handel zu treiben, Geld zu verdienen und Gewinn zu haben,“ aber auch „um mir die fremden Länder anzusehen, auf dem Meer zu fahren, mich den Kaufleuten anzuschließen und Berichte über neue Dinge zu genießen.“ Er ist zu unruhig um zu Hause zu bleiben; sein Reichtum langweilt ihn. Einmal führt er sogar an, dass er verreist, weil er sich danach sehnt nach Heimkehr seine „Freunde und Gefährten wiederzusehen und in der Heimat zu sein.“ Ein fast moderner Mensch.
Verwerflich findet er diese Sehnsucht schon. Als unmittelbarer Triebfeder zu seinen Reisen nennt er mehr als einmal „die Seele, die zum Bösen treibt,“ ein Begriff aus dem Koran (12:53). Es ist die Sünde, die ihn antreibt, und das Meer, auf das er sich begibt, ist das Chaos, der Aufenthaltsort des Bösen. Noch negativer wird sein Kurzausflug ins Weltall bewertet. Sindbad steigt nicht hinauf zu Gott, und das islamische Paradies strebt er auch nicht nach. Er zappelt und schaukelt nur herum bis er letztendlich in sich selbst Ruhe findet.
Sind Supergewinne auch tadelnswert? Bei diesen frühen Indienfahrten gab es theoretisch Gleichwertigkeit der Handelspartner und war von Ausbeutung nicht die Rede. Aber diese dummen Leutchen im Osten, so vermitteln uns die Erzählungen, wissen meist nicht einmal auf welchen Kostbarkeiten sie sitzen, und Sindbad behandelt sie oft grausam. Über seine Einkünfte bleibt er ziemlich vage, was vielleicht auf Schuldgefühl hindeutet. Ein Floß, das er einmal baut um sich zu retten, ist bei näherer Betrachtung aus wertvollem Sandelholz; auch Diamanten und andere Kostbarkeiten fallen ihm einfach zu. Wenn man ihm glauben soll, ist er nur durch Gottes Gnade reich geworden; selbst kann er nichts dafür. Verdient hat er es aber trotzdem, wie er meint: Wenn man so viel Elend durchgestanden hat ist es nur gerecht, dass man etwas daran verdient.
Zum Glück gilt das auch für die andere Person in diesem Erzählzyklus: Sindbad der Festländer, ein Lastträger, der viel Elend erlebt—und zwar, anders als sein Namensvetter, ohne seine Schuld. Die sieben Erzählungen des Seefahrers sind in einer Rahmenerzählung gefasst, die mit der Szene des armen Lastträgers anfängt, der leicht verbittert aber sich letztendlich in den Standesunterschied fügend, sich vor dem prachtvollen Haus des Seefahrers kurz verschnauft. Dieser lädt ihn zu sich ein, gebraucht ihn als Publikum für seine Erzählungen und lässt ihn an seinem Wohlstand teilhaben, indem er ihn bewirtet, ihm große Zuwendungen gibt und sein Freund wird. So befreit der Reiche sich von etwas Gold und Schuldgefühl—und hier steckt offensichtlich die Moral. Reichtum ist gut, aber er soll geteilt werden. Durch den Seefahrer erlöst der gütige Gott auch den Festländer aus seinem Elend.
Es läuft eine Linie von den Sindbad-Erzählungen zu modernen Gewalt- und Horrorfilmen. Die Höhle voller Knochen und verwesenden Leichen, in die Sindbad nach dem Tod seiner indischen Frau geworfen wird und in der er sich mit dem Proviant der neu eintreffenden Witwen und Witwern am Leben hält, die er mit einem Knochen erschlägt, wäre auf dem Leinwand nicht weniger überzeugend als die Episode mit dem Zyklopen.

[Auch veröffentlicht in zenith, September/Oktober 2012]

QUELLE
– Alf laila wa-laila, Bulāq 1251/1835, Bd. II, 1–37 (Nacht 536–566).
– Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Zum ersten Mal nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann, 6 Bde., Leipzig (Insel) 1921–8. (Diese Übersetzung ist des Öfteren als Inseltaschenbuch 224 im Angebot. Sie ist gut, aber zu Grunde liegt eine etwas andere Ausgabe als die gerade erwähnte. Der Sindbad-Zyklus steht hier in Band iv, S. 97–215.)
– Von anderen Übersetzungen rate ich ab. Die Tausenundeine Nacht ist oft sehr schlechten Übersetzern und Bearbeitern zum Opfer gefallen. Zu ihnen gehört übrigens nicht Claudia Ott, die eine sehr gute Übersetzung veröffentlicht hat; diese enthält aber nicht den Sindbad-Zyklus. Wer auf einer Insel in Hinterindien wohnt oder aus anderen Gründen Littmann nicht zur Hand hat, kann sich im Internet bei der berühmten englischen Übersetzung von Richard Burton bedienen. Band 6, S. 1–82. Lädt langsam.

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Die Arabisierung der Bibel

JezusverjaagthandelaarsIn Kinderbibeln und Bibelfilmen aus Hollywood tragen die Palästinenser aus Jesu Zeit oft Kleidung, die arabisch anmutet. Die Arabisierung der Bibel war ein Prozess, der Jahrhunderte gedauert hat. Als man in der Zeit der Kreuzzüge begann hochwertige Stoffe aus dem Nahen Osten zu importieren, zog man auf Gemälden den biblischen Gestalten orientalische Kleider an anstatt der europäischen, die sie auf älteren Gemälden noch getragen hatten. Auch Rembrandt muss eine Truhe türkischer Kleider zur Hand gehabt haben. Natürlich war man sich bewusst, dass die biblischen Erzählungen sich in Palästina, also im sogenannten Orient abgespielt hatten, wenn auch das biblische Ambiente nie so „orientalisch“ wird wie die wirkliche Arabische Welt. Der Orient war einfach zu frivol für christliche Zwecke.

Im 19. Jahrhundert, als die bis heute bildbestimmenden Illustrationen zur Bibel entstanden, hat man auf die Kleidung geschaut, die palästinensische Bauer und Fischer damals trugen, und diese nach freier Fantasie umgemodelt. Überwiegend nüchterne, bescheidene Kleidung ist es geworden. Typisch arabische Kopfbedeckungen werden angewandt; bei Jesus selbst eher nicht, weil die sein charismatisch wallendes Haar verhüllen würden. In der neutestamentlichen Umgebung sehen wir einen matten Orient: billige Gewänder und brave Gesichter; keine noblen Wilden oder stolzen Kämpfer; vielmehr rauhbeinige, aber aufmerksam zuhörende Bauerntypen.

Nur bei den Drei Königen darf der malerische Orient kurz durchbrechen, und natürlich bei der Geschichte über Herodes und Salome. Dort ist Raum für einen orientalischen Despoten und eine Tänzerin in kostbarem, nahezu durchsichtigem Stoff.
Vielleicht haben die langen, arabisierenden Gewänder den Bibelzeichnern auch gut gepasst, weil so viel Stoff darein ging. In der griechisch-römischen Kleidung war viel nackte Haut sichtbar, und die Tuniken ließen sich leicht ausziehen. So konnte man Jesus und seine Jünger schwerlich aussehen lassen. Jesus oben ohne, das geht nur, wenn er am Kreuz hängt; das hat eine eigene Erotik. Aber die Bergpredigt mit entblößter Brust? Lieber nicht.

Kleidung
• Damen: Kopftuch, Schleier, Burka & Co, Tschadorhot pants
• Herren: Lendentuch, langes Gewand, Burka

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