Genealogie ist in jeder Kultur ein hervorragendes Mittel die Vergangenheit rückwirkend ein wenig in Form zu pressen. Auch die alten Araber verstanden diese Kunst. Wenn zum Beispiel ein Stamm durch Aussterben oder Krieg so klein wurde, dass er nicht länger selbständig fortbestehen konnte, wurde er einem größeren einverleibt. Rückwirkend veränderte sich auch seine Ahnenliste. Wenn ein Vertrag zwischen Stämmen abgeschlossen wurde, entstanden wie von selbst Stammbäume, nach denen die beteiligten Stämme schon immer dieselben Urahnen gehabt hätten.
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Auch vom Propheten Mohammed sind Stammbäume überliefert worden. Es lassen sich drei Sorten erkennen:
- ein an der Bibel orientierter Stammbaum
- ein verkürzter, „entbibelter“ Stammbaum
- panarabische Stammbäume
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Biblischer Stammbaum
Ibn Isḥāq beginnt seine Prophetenbiografie (sira) mit einem „biblischen“ Stammbaum, der halb aus arabischen, halb aus hebräischen Namen besteht und über einige ältere Israeliten, darunter der Prophet Ibrāhīm (Abraham), bis auf Adam zurückgeht. So wollte man Mohammed in die biblische Geschichte einbetten.
- Mohammed war der Sohn des ‘Abdallāh, des Sohnes des ‘Abd al-Muttalib, dessen Name Shaiba war, der Sohn des Hāshim, dessen Name ‘Amr war, des Sohnes des ‘Abd Manāf, dessen Name Mughīra war, des Sohnes des Qusayy, dessen Name Zaid war, des Sohnes des Kilāb, des Sohnes des Murra, des Sohnes des Ka‘b, des Sohnes des Lu’ayy, des Sohnes des Ghālib, des Sohnes des Fihr, des Sohnes des Mālik, des Sohnes des Nadr, des Sohnes des Kināna, des Sohnes des Khuzaima, des Sohnes des Mudrika, dessen Name ‘Āmir war, des Sohnes des Elias, des Sohnes des Mudar, des Sohnes des Nizār, des Sohnes des Ma‘add, des Sohnes des ‘Adnān, des Sohnes des Udd oder Udad,des Sohnes des Muqawwam, der Sohn des Nahor, des Sohnes des Terah, des Sohnes des Ya‘rub, des Sohnes des Yashdjub, des Sohnes des Nābit, der Sohn des Ismael, des Sohnes des Abraham (Ibrahīm) der Freund des Barmherzigen, der Sohn des Terach (das ist Azar), des Sohnes des Nahor, der Sohn des Serug, des Sohnes des Regu, des Sohnes des Peleg, des Sohnes des Eber, des Sohnes des Schelach, der Sohn des Arpachschad, des Sohnes des Sem, des Sohnes des Noah, des Sohnes des Lamech, der Sohn des Metuschelah, des Sohnes des Henoch (das ist der Prophet Idrīs, wie man sagt, aber Gott weiß es am besten; er war der erste der Söhne Adams, denen das Prophetentum und das Schreiben mit dem Rohr gegeben wurden), des Sohnes des Jered, des Sohnes des Mahalalel, des Sohnes des Kenan, des Sohnes des Enosch, der Sohn des Set, des Sohnes des Adam.1
Manche frühen Christen hatten schon vor Jahrhunderten ein ähnliches Bedürfnis gehabt: Das Evangelium nach Matthäus lässt Jesus wunderbar über David von Abraham abstammen.2
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„Entbibelung“
In der Hadithsammlung des al-Bukhārī (810–870) finden wir in einer Kapitelüberschrift dieselbe Ahnenliste, aber mit ‘Adnān als letztem Namen – alle alttestamentliche Namen fehlen dort.3 Einen Augenblick könnte man meinen, al-Bukhārī oder sein Herausgeber habe die Liste etwas verkürzt, weil die so viel Platz einnahm. Aber bei einem Blick in das Werk des Historiographen Ibn Sa‘d (784–845) stellt sich heraus, dass sich hinter der Verkürzung eine andere Absicht verbarg. Die biblischen Namen waren Gegenstand einer Diskussion, wie in einer ganzen Reihe von Hadithen und Berichten ersichtlich wird, von denen ich hier drei zitiere:4
- Hishām [al-Kalbī] […] Wenn der Prophet seine Genealogie aufzählte, ging er nicht weiter zurück in seiner Ahnenlinie als bis zu Ma‘add ibn ‘Adnān ibn Udad; danach hörte er auf und sagte: „Die Genealogen lügen. Gott sagt: ,[…] und viele Generationen dazwischen.‘“ (Koran 25:38) — die ältesten Vorfahren werden also nicht länger namentlich genannt.
- Ibn ‘Abbās: Hätte der Prophet diese bekannt machen wollen, so hätte er das getan. […] Er rezitierte: ,„ […] von ‘Ād und Thamūd und von denen, die nach ihnen lebten, und die nur Gott kennt.‘ (Koran 14:9) Die Genealogen lügen.“
- Hishām [al-Kalbī] sagt: Mukhbir hat von meinem Vater gehört, aber ich nicht [Kursiviering von mir; es folgt eine Ahnenliste ab Maʿadd, die endet bei] Qaidhar ibn Ismāʿīl ibn Ibrāhīm.
Es schien anfangs eine gute Idee, den neuen Propheten Mohammed in der biblischen Urzeit wurzeln zu lassen. So konnte er auch für Christen und Juden legitim erscheinen. Aber ein Jahrhundert später wollte man alles Jüdische und Christliche — die sogenannten Isrā’īlīyāt — wieder loswerden und man tat alles um die alten Namen zu entsorgen. Die „Entbibelung“ ist in der ganzen frühislamischen Geschichte zu beobachten; nicht nur bei der Genealogie.
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Panarabische Stammbäume
Nach der Streichung aller biblischen Namen aus Stammbaum Nr. 1 bleibt eine rein arabische Ahnenreihe übrig, die den Propheten über den Stamm Hāshim mit dem Urvater ‘Adnān verbindet. Aber war Mohammed nicht der Prophet aller Araber? Hier bringen die Geschlechtsregister in der weiblichen Linie die Antwort. Ibn Sa‘d5 bietet erst eine Auflistung der „Mütter des Propheten“. In diesem Stammbaum wird die Mutter des Propheten erwähnt, dann ihre Mutter, dann deren Mutter, und so weiter. Bei jeder dieser Frauen werden dann ihr Vater, ihr Großvater und weitere Vorväter aufgelistet.
Einige Seiten weiter hat Ibn Sa‘d6 Listen der „Mütter der Väter des Propheten“, die genauso strukturiert sind. Noch mehr Namen, noch mehr Stämme – die Namensvielfalt wird so verwirrend, dass wohl nur Spezialisten, namentlich Ethnologen, sie genießen können. Aber der Eindruck, den uns diese Lektüre vermitteln soll, ist deutlich: Der Prophet stammte über die Frauen von allen Stämmen der Arabischen Halbinsel ab. Edmund Leach7 hat für den Stammbaum des biblischen Salomo einst Ähnliches festgestellt: Die Vorfahrenschaft wird über die Frauen verbreitert, um die Legitimität zu vergrößern.
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Wir sind hier Zeugen eines Prozesses, der auch anderenorts zu beobachten ist. Erst Verwurzelung in der Bibel, damit Mohammed als ebenbürtig mit den früheren Propheten und als Erfüllung der Weissagung hingestellt wird. Danach die Entfernung von allem, was an jüdische Überlieferung oder Bibel erinnert, und schließlich eine immer weiter fortschreitende Arabisierung des Islams.
Auch veröffentlicht in zenith, september/oktober 2013, S. 110–111 und in zenith online.
ANMERKUNGEN
1. Ibn Ishāq: Das Leben Muhammed’s nach Muhammed Ibn Ishâk bearbeitet von Abd el-Malik Ibn Hischâm, hg. F. Wüstenfeld, Göttingen 1858–60, 3. Das Original enthält arabisierte Formen hebräischer Namen, die ich hier der Deutlichkeit halber in der Rechtschreibung der Lutherbibel wiedergebe. Es betrifft die Nachkommen Sems, wie sie in 1. Mose 11 erwähnt werden, und Namen aus einer älteren Vergangenheit (1. Mose 5).).
محمد بن عبد الله بن عبد المطلب ، واسم عبد المطلب : شيبة بن هاشم واسم هاشم : عمرو بن عبد مناف واسم عبد مناف : المغيرة بن قصي ، ( واسم قصي : زيد) بن كلاب بن مرة بن كعب بن لؤي بن غالب بن فهر بن مالك بن النضر بن كنانة بن خزيمة بن مدركة ، واسم مدركة : عامر بن إلياس بن مضر بن نزار بن معد بن عدنان بن أد ، ويقال أدد، بن مقوم بن ناحور بن تيرح بن يعرب بن يشجب بن نابت بن إسماعيل بن إبراهيم – خليل الرحمن – بن تارح ، وهو آزر بن ناحور بن ساروغ بن راعو بن فالخ بن عيبر بن شالخ بن أرفخشذ بن سام بن نوح بن لمك بن متوشلخ بن أخنوخ ، وهو إدريس النبي فيما يزعمون والله أعلم ، وكان أول بني آدم أعطى النبوة ، وخط بالقلم – ابن يرد بن مهليل بن قينن بن يانش بن شيث بن آدم ص.
2. Matthäus 1:1–17: Dies ist das Buch von der Geburt Jesu Christi, der da ist ein Sohn Davids, des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte Isaak. Isaak zeugte Jakob. Jakob zeugte Juda und seine Brüder. Juda zeugte Perez und Serah von Thamar. Perez zeugte Hezron. Hezron zeugte Ram. Ram zeugte Amminadab. Amminadab zeugte Nahesson. Nahesson zeugte Salma. Salma zeugte Boas von der Rahab. Boas zeugte Obed von der Ruth. Obed zeugte Jesse. Jesse zeugte den König David. Der König David zeugte Salomo von dem Weib des Uria. Salomo zeugte Rehabeam. Rehabeam zeugte Abia. Abia zeugte Asa. Asa zeugte Josaphat. Josaphat zeugte Joram. Joram zeugte Usia. Usia zeugte Jotham. Jotham zeugte Ahas. Ahas zeugte Hiskia. Hiskia zeugte Manasse. Manasse zeugte Amon. Amon zeugte Josia. Josia zeugte Jechonja und seine Brüder um die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Nach der babylonischen Gefangenschaft zeugte Jechonja Sealthiel. Sealthiel zeugte Serubabel. Serubabel zeugte Abiud. Abiud zeugte Eliakim. Eliakim zeugte Asor. Asor zeugte Zadok. Zadok zeugte Achim. Achim zeugte Eliud. Eliud zeugte Eleasar. Eleasar zeugte Matthan. Matthan zeugte Jakob. Jakob zeugte Joseph, den Mann Marias, von welcher ist geboren Jesus, der da heißt Christus. Alle Glieder von Abraham bis auf David sind vierzehn Glieder. Von David bis auf die Gefangenschaft sind vierzehn Glieder. Von der babylonischen Gefangenschaft bis auf Christus sind vierzehn Glieder.
3. Buḫārī, Ṣaḥīḥ, Manāqib al-Anṣār 28:
باب مبعث النبي صلى الله عليه وسلم محمد بن عبد الله بن عبد المطلب بن هاشم بن عبد مناف بن قصي بن كلاب بن مرة بن كعب بن لؤي بن غالب بن فهر بن مالك بن النضر بن كنانة بن خزيمة بن مدركة بن إلياس بن مضر بن نزار بن معد بن عدنان ص
4. Alle bei Ibn Sa‘d, Kitāb at-Tabaqāt al-kabīr, hrsg. Ihsān ‘Abbās, Beirut o.J., i, 56.
قَالَت: وَ أَخْبَرَنَا هِشَامٌ قَالَ: أَخْبَرَنِي أَبِي عَنِ أَبِي صَالًِحٍ عَن ابْنِ عَبَّاسٍ أَنَّ النَبِيَّ عليه الصلاة والسلام كَانَ إذَا انْتَسَبَ لَمْ يُجَاوِزْ فِي نَسَبِهِ مَعَدَّ بْنَ عَدْنَانَ بْنِ أُدَدَ ثُمَّ يُمْسِكُ وَيَقُرلُ: „كَذَبَ النَّسَّابُونَ. قَالَ اللهُ تَعَالَى: وَقُرُونًا بَيْنَ ذَلِكَ كَثِيرًا.“
قَالَ : أَخْبَرَنَا قَالَ : أَخْبَرَنَا عُبَيْدُ اللهً بْنُ مُوسَى الْعَبْسِيُّ ، قَالَ : أَخْبَرَنَا إِسْرَائِيلُ ، عَنْ أَبِي إِسْحَاقَ ، عَنْ عَمْرِو بْنِ مَيْمُونٍ ، عَنْ عَبْدِ اللَّهِ : أَنَّهُ كَانَ يَقْرَأُ : وَعَادٍ وَثَمُودَ وَالَّذِينَ مِنْ بَعْدِهِمْ لا يَعْلَمُهُمْ إِلا اللهُ. “ كَذَبَ النَّسَّابُونَ “ .
قَالَ هِشَامٌ : وَأَخْبَرَنِي مُخْبِرٌ ، عَنِ أَبِي ، وَلَمْ أَسْمَعْهُ مِنْهُ أَنَّهُ كَانَ ينسِبُ مَعَدَّ بْنَ عَدْنَانَ بْنِ أُدَدَ بْنِ الْهَمَيْسَعِ بْنِ سَلامَانَ بْنِ عَوْصِ بْنِ يُوزَ بْنِ قَمْوَالِ بْنِ أُبَيِّ بْنِ الْعَوَّامِ بْنِ نَاشِدِ بْنِ حَزَّا بْنِ بِلْدَاسَ بْنِ تَدْلافِ بْنِ طَابِخِ بْنِ جَاحِمِ بْنِ نَاحِشِ بْنِ مَاخِي بْنِ عَبَقَى بْنِ عَبْقَرِ بْنِ عُبَيْدِ بْنِ الدَّعَّا بْنِ حَمْدَانَ بْنِ سَنْبَرِ بْنِ يَثْرِبِيِّ بْنِ نَحْزَنَ بْنِ يَلْحُنَ بْنِ أَرْعَوِيِّ بْنِ عَيْفَى بْنِ دَيْشَانَ بْنِ عَيْصَرِ بْنِ أَقْنَادِ بْنِ أَبْهَامَ بْنِ مَقْصِيِّ بْنِ نَاحِثِ بْنِ زَارِحِ بْنِ شُمِّيِّ بْنِ مَزَى بْنِ عَوْصِ بْنِ عَرَامِ بْنِ قَيْذَرِ بْنِ إِسْمَاعِيلَ بْنِ إِبْرَاهِيمَ صَلَّى اللهُ عَلَيْهِمَا وَسَلَّمَ .
5. Ibn Sa‘d, o.c., i, 59–60.
6. Ibn Sa‘d, o.c., i, 64–66.
7. E. Leach, Genesis as myth, London 1969, 64, erwähnt in D.M. Varisco, „Metaphors and Sacred History. The Genealogy of Muhammad and the Arab “Tribe”,“ Anthropological Quarterly, 68, (1995), 139–156, insbes. S. 148–49.
Diakritische Zeichen:
‘Abd al-Muṭṭalib, Šaiba, Hāšim, Muġīra, Quṣayy, Ġālib, Naḍr, Ḫuzaima, Muḍar, Yašǧub, al-Buḫārī, Hišām, Ṯamūd, Muḫbir, Qayḏar, Ibn Isḥāq, Ṣaḥīḥ, al-Anṣār, at-Ṭabaqāt, Iḥsān
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