Der Mutalammisbrief: ein arabischer Uriasbrief

Al-Mutalammis war ein vorislamischer arabischer Dichter, der Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. am Hof des christlichen Könings ‘Amr ibn Hind (reg. 554–69) im irakischen al-Hīra verkehrte. Auch sein Neffe Tarafa ibn ‘Abd war in der Hauptstadt der arabischen Lakhmiden-Dynastie. Der war als Dichter viel wichtiger und wurde richtig berühmt, während Mutalammis nur ein kleines Œuvre hatte, das auch noch zum Großteil von seiner traumatischen Erfahrung mit König ‘Amr und dem sog. Mutalammisbrief (sahīfat al-Mutalammis) handelte.

Hofdichter hatten damals die Aufgabe, in Lobgedichten den Fürsten und dessen Stamm zu besingen und dessen Feinde oder andere minderwertige Personen oder Stämme in Schmähgedichten kleinzumachen. Manchmal lief das aber etwas anders: Wenn ein Dichter zum Beispiel schlechte Laune hatte, einen Kater hatte, sich überschätzte, in Ungnade gefallen war oder wenn der Fürst mit den Zuwendungen sehr zögerlich war, dann wurde auch schon mal ein Schmähgedicht auf den gütigen Herrn selbst gedichtet. Die Dichter nutzten ihre Meinungsfreiheit maximal aus und schimpften mitunter, was das Zeug hielt.
So dichtete Mutalammis zum Beispiel (den Artikel al- bei seinem Namen lasse ich weiterhin weg):

Ein König, der mit seiner eigenen Mutter und derer Dienerschaft Verkehr hat. [Vom vielen Beischlaf] ist er schlaff in seine Gelenken und sein Schwanz ist [dünn geworden] wie ein Kohlstift.

An der Tür lädt er jeden Bittsteller ein, aber wenn er mit ihm allein ist, legt der Mann los wie eine Bestie.1

In Grobheit steht diese Tirade manchen Kommentaren in den heutigen sozialen Medien in nichts nach. Aber bei den alten Dichtern reimte es und war das Metrum in Ordnung.

Der König war not amused und beschloss sich der beiden Dichter, Onkel und Neffe, zu entledigen, indem er sie weit weg schickte. Vielleicht waren sie in al-Hīra schon zu populär um sie vor Ort zu eliminieren? Jedenfalls sandte König ‘Amr sie zum persischen Statthalter in Bahrain, für den er ihnen je einen versiegelten Brief mitgab, gegen dessen Vorlage ihnen allerlei Geschenke zu Teil werden sollten. Ibn Qutaiba beschrieb das später in seinem Buch „Die Poesie und die Dichter“. Das Buch wurde mehr als drei Jahrhunderte nach dem Geschehenen verfasst; ist sein Bericht zuverlässig? Wir werden es nie wissen. Auf jeden Fall ist es unterhaltsame Lektüre. Ibn Qutaiba berichtet: 

Er [Mutalammis] verkehrte am Hofe des ‘Amr ibn Hind, des Königs von al-Hīra, er und Tarafa ibn al-‘Abd, und beide verfassten sie Schmähgedichte auf ihn. Der König schrieb für sie je einen Brief an den [persischen] Statthalter zu Bahrain. Er ließ ihnen gegenüber durchblicken, dass er darin befohlen habe, ihnen Zuwendungen zu geben, aber in Wirklichkeit befahl er sie umzubringen.
Sie machten sich auf, und als sie in Nadjaf angekommen waren, trafen sie am Wegrand einen alten Mann, der gleichzeitig urinierte, ein Stück Brot aß und die Läuse aus seinen Kleidern entfernte und totschlug. Mutalammis sagte:
„So einen blöden alten Kerl habe ich noch nie gesehen.“
„Wieso?’“ fragte der Alte, „Ich entferne etwas Hässliches, führe etwas Gutes herein und ich töte einen Feind. Viel dümmer ist jemand, der sein eigenes Todesurteil mit sich herumträgt.“
Wegen dieser Worte beschlich Mutalammis Zweifel. Es kam ein junger Mann aus al-Hīra vorbei und ihn fragte Mutalammis:
„Kannst du lesen, Junge?“
„Ja,“ antwortete der, worauf er das Siegel brach und dem Jungen den Brief überreichte. Darin stand: „Wenn Mutalammis zu dir kommt, hacke ihm seine Hände und Füße ab und beerdige ihn lebendig!“ Darauf sagte er zu Tarafa:
„Gib ihm auch deinen Brief zu lesen; bei Gott, darin steht bestimmt dasselbe.“
Aber Tarafa sagte: „Nein, mir wagt er so etwas nicht anzutun.“
Mutalammis warf seinen Brief in den Fluss mit den Worten: „Hiermit werfe ich auch mein Haus weg,“ und er zog nach Syrien. Aber Tarafa zog weiter nach Bahrain [und wurde umgebracht].
So wurde der „Mutalammisbrief“ sprichwörtlich.2

Merkwürdig ist, dass Mutalammis und Tarafa in der Erzählung offenbar nicht lesen konnten, während sie das von irgendeinem Jungen auf der Straße durchaus erwarteten. Gingen die Erzähler davon aus, dass die Briefe auf Pahlavi oder vielleicht Aramäisch geschrieben waren? Aber al-Hīra war doch ein arabisches Königreich—und konnte dort ein beliebiger Straßenjunge wirklich eine fremde Amtssprache lesen?

Bei uns heißt ein Brief, der seinem Überbringer Unheil bringt, ein Uriasbrief, nach der biblischen Erzählung von König David und Batseba (2 Samuel 11:14-17). David sah von seinem Dach, wie die schöne Batseba sich wusch und er fühlte sich zu ihr angezogen. Ihr Mann Urias diente als Soldat in seinem Heer. Er war ein Hethiter: ein Ausländer also, aber gut integriert (2 Sam. 11:11). Das eine führte zum anderen: Batseba wurde schwanger vom König; ihr Mann witterte Unheil und wollte nicht mehr zu ihr zurück. Darauf verspürte der König das Bedürfnis Urias aus dem Weg zu räumen, damit er die Frau heiraten konnte. Er sandte Urias zum Oberbefehlshaber Joab, mit einem Brief, in dem Letzterem befohlen wurde Urias bei einer Schlacht ganz vorne aufzustellen, so dass er fallen musste. So geschah es und so hatte David den Weg frei gemacht für seine Ehe mit der Witwe—selbstverständlich nach einer angemessenen Trauerperiode.

Wenn Sie noch klassisch gebildet sind, denken Sie vielleicht auch an den bellerophontischen Brief. Bellerophon wurde nämlich von Proteus zu König Iobates von Lykien gesandt mit dem versiegelten Auftrag, ihn zu töten. Aber darauf hatte der König keine Lust und er schickte den jungen Mann lieber weg, mit der Aufgabe das feuerspeiende Ungeheuer Chimära zu töten, in der Hoffnung, dies würde ihm nicht gelingen. Es kam aber anders als geplant, denn es gelang Bellerophon durchaus, das Ungeheuer zu vernichten.

Und sonst erinnern Sie sich vielleicht daran, was in Tim und Struppi, Der blaue Lotos, den beiden Detektiven Schultze und Schulze in der chinesischen Stadt Hukou widerfährt. Sie haben ein Empfehlungsschreiben für den örtlichen Polizeikommissar, das sie aber verlieren und das von Tims Freund Tschang durch einen Brief ersetzt wird, indem auf Chinesisch zu lesen steht: „Sollten Sie nicht bemerkt haben, dass wir zwei Verrückte sind, so ist dies der offizielle Beweis.“ Der Kommissar lacht laut und lässt sie vor die Tür setzen.3

Ein Uriasbrief sollte also gut versiegelt oder in einer Fremdsprache abgefasst sein—oder beides.

Wahrscheinlich wimmelt es in der Weltliteratur von Mutalammis-, Urias-, oder Bellerophonbriefen. Der Name Uriasbrief passt wohl am besten, denn die dazugehörige Geschichte ist die älteste. Oder gab es noch eine altägyptische oder babylonische Vorlage?

EXKURS ZU URIAS
Keinen Uriasbrief, aber schon einige Parallelen zu Urias sieht David Powers4 in den Erzählungen über Zaid, den der Prophet Mohammed zunächst adoptiert hatte und, der auch nach seiner späteren „Entsohnung“ eine sehr hohe Position in der frühen Elite innehatte.
Die Parallele bestehen darin: Urias war ein Soldat aus dem Ausland, Zaid war ursprünglich als Sklavenjunge aus Nord-Arabien gekommen. David begehrte die Frau seines Soldaten; Mohammed begehrte die Ex-Frau seines Ex-Sohnes (Koran 33:37) und stellte ihn als Heerführer in die erste Reihe, in der Schlacht, die unweigerlich verloren werden musste, so dass er in der Tat umkam. Das Thema für einen folgenden Beitrag?

ANMERKUNGEN
1. K. Vollers, Die Gedichte des Mutalammis, Arabisch und Deutsch, Leipzig 1903, 38/13, 14; kāmil, –dī. Poesie poetisch übersetzen kann ich nicht, aber so bekommen Sie wenigstens einen Eindruck.

مَلِكٌ يُلاَعِبُ أُمَّهُ وَقَطِينَهَا * رِخْوُ المَفَاصِلِ أَيْرُهُ كَالمِرْوَدِ
بالبابِ يَطْلُبُ كُلَّ طَالِبِ حَاجَةِ * فَإذَا خَلَا فَالمَرْءُ غَيْرُ مُسَدَّدِ

2. Ibn Qutaiba, as-Shi‘r was-shu‘arā’, Hg. Ahmad Muhammad Shākir, 2 Bde. Kairo 1966, i, 181–2.

وكان ينادم عمرو بن هند ملك الحيرة، هو وطرفة بن عبد فهجواه، فكتب لهما إلى عامله بالبحرين كتابين، أوهمهما أنه أمر لهما فيهما بالجوائز، وكتب اليه يأمره بقتلهما. فخرجا حتى إذا كانا بالنجف، إذا هما بشيخ على يسار الطريق، يُحدِث ويأكل من خبر في يده، ويتناول القمل من ثيابه فيقصعه. فقال المتلمس: ما رأيت كاليوم شيخًا أحمق. فقال الشيخ: وما رأيتَ من حمقي؟ أُخرج خبيثاً وأْدخل طيباً وأقتل عدواً، أحمق مني والله من حامل حتفه بيده. فاستراب المتلمس يقوله، وطلع عليه غلام من أهل الحيرة، فقال له المتلمس: أتقرأ يا غلام؟ قال: نعم. ففكّ صحيفته ودفعها إليه، فإذا فيها: أما بعد، فإذا أتاك المتلمس فاقطعْ يديه ورجليه وادْفنه جيَّا. فقال لطرفة: ادفع إليه صحيفتك يقرأها، ففيها والله ما في صحيفتي. فقال طرفة“ كَلاّ، لم يكن ليجترئ عليَّ. فقذف المتلمس يصحيفته في نهر الحيرة وقال: قدفت به البيت، وأخذ نحو الشأم. وأخذ طرفة نخو البحرين.
فضُرب المثل بصحيفة المتلمس.

3. Hergé, Tim und Struppi. Der blaue Lotos, Carlsen, 1997, S. 46–47@@.
4. David S. Powers, Zayd, Philadelphia 2014, s. Subject Index unter Uriah the Hittite.

Diakritische Zeichen: al-Ḥīra, Ṭarafa ibn ʿAbd, ṣaḥīfat al-Mutalammis, Baḥrain, Naǧaf, aš-Šiʿr wa’š-šuʿarā’

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Frauenpower: die Kriegerinnen der arabischen Erzählliteratur

uitHamzaverhaalDass Frauen schlauer sind als Männer, wird jedem bekannt sein, der schon mal am Laden jenes Baghdader Kaufmanns aus den Tausendundein Nächten vorbeigelaufen ist,1 der mit goldenen Buchstaben über seinen Laden geschrieben hatte: „Es gibt keine List als die List der Frauen; denn ihre List ist die größte.“ Anfangs stand dort gerade das Umgekehrte: „Es gibt keine List als die der Männer, denn sie übertrifft die List der Frauen.“ Aber eine gut aussehende „Tochter der Fröhlichkeit“, die das las, geriet in Rage und wollte dem Mann eine Lektion verpassen. Sie verführte ihn und behauptete, sie sei die Tochter des Richters. Der Kaufmann hielt sofort beim Richter um die Hand seiner Tochter an. Die Hochzeit wurde schnell geregelt, aber als die Braut sich für ihn enthüllte, sah er eine ganz andere, hässliche und entstellte Frau vor sich. Am nächsten Tag kam die schöne Frau wieder vorbei und zwang ihn die Inschrift über seinem Laden zu ändern. Dabei blieb es nicht: die Frau schaffte es sogar beim Richter, der wohl erleichtert gewesen war seine hässliche Tochter los zu werden, eine sofortige Scheidung zu bewirken und heiratete den Kaufmann selbst.

Von einer Frau, ja einem Mädchen, das gebildeter ist als Männer und sich nicht ziert männliche Gelehrte auf ihrem eigenen Fachgebiet zu schlagen, kann man ebenfalls in den Tausendundein Nächten lesen: in der Geschichte von der gelehrten und zugleich anmutigen Sklavin Tawaddud.2 In Anwesenheit des Kalifen Hārūn ar-Rashīd weiß dieses vierzehnjährige Mädchen die schwierigsten Fragen von Gelehrten über islamische Wissenschaften, Medizin, Astronomie und Philosophie zu beantworten und sie zeigt sich auch in Poesie, Tricktrack und Schach versiert. Nach jedem Test darf sie selbst jedem Gelehrten eine Frage stellen und sie verlangt, dass dieser sein Gewand oder seinen Turban, ablegen muss, wenn er keine Antwort weiß. Es endet unweigerlich damit, dass die Spezialisten im Hemd oder noch weniger dastehen. Einer bittet sogar darum, wenigstens seine Unterhose anbehalten zu dürfen.
Trotz des lustigen Strippokers liest sich die lange Erzählung nicht leicht, aber sie ist eine interessante Quelle zu dem damaligen Bildungskanon.

  • Tawaddud hat sogar ganz besondere anatomische Kenntnisse: Sie weiß nämlich, dass der Unterkiefer des Menschen aus einem Stück besteht und nicht aus zweien, wie der griechische Arzt Galen (ca. 129–200) und die ganze nahöstliche Schulmedizin immer behauptet hatten. Vielleicht hatte sie selbst ein Skelett gesehen, oder sie hatte das Kitāb al-ifāda wal-iʿtibār von ‘Abd al-Laṭīf al-Baġdādī gelesen, der als einziger arabischer Gelehrter dasselbe behauptet. Der soll nämlich um 1200 während einer Hungersnot in Ägypten viele Skelette angesehen haben. Nach ihm sollte es noch Jahrhunderte dauern, bis Vesalius3 die richtige Information über den Unterkiefer auch in Europa verbreitete.

DhatAlHimmaEnglBookcoverWeniger bekannt dürfte sein, dass arabische Frauen sich im Bereich der Kernkompetenz der Männer, nämlich beim Kämpfen, genau so gut schlugen wie diese—wenn nicht sogar noch besser. Davon erzählen nicht die Tausendundein Nächte, sondern etliche andere jahrhundertealte Erzählungen, wie Dhāt al-Himma und Sīrat ‘Anṭara, Sammlungen mit Hunderten, wenn nicht Tausenden von Seiten, in denen es von kämpfenden Frauen nur so wimmelt. Es sind Volksepen (sīra sha‘bīya), die mündlich von Erzählern in Kaffeehäusern weitergereicht, aber auch in Heftchen von Buchhändlern verliehen wurden. So fiktiv und fantastisch sie auch sind, für das Publikum war das islamische Geschichte, die man lieber hörte als die Tausendundein Nächte, die ja nur zur Unterhaltung dienten.
Heutzutage sind diese Epen ziemlich in Vergessenheit geraten: Die Erzähltradition ist fast ausgestorben und dazu kommt noch, dass Literaturwissenschaftler in Ost und West meist nicht an Volksliteratur, sondern nur an gehobener Literatur interessiert sind. Das könnte sich aber jetzt ändern, denn Remke → Kruk hat diese Wälzer der Vergessenheit entrissen und gleich eine spannende Studie darüber geschrieben: The Warrior Women of Islam.

Ein Werk möge als Beispiel dienen, in dem eine Kriegerin die Hauptrolle spielt: Dhāt al-Himma,4 ein Erzählzyklus von mehr als sechstausend dichtbedruckten Seiten in Reimprosa. Die Handlung hier zusammenzufassen ist unmöglich: → Lyons brauchte nur dafür schon hundertsechzig Seiten! Leitmotive sind einerseits die Rivalität zwischen zwei arabischen Stämmen, andererseits der Dauerkrieg zwischen den Muslimen und dem Oströmischen Reich.
Dhāt al-Himma weist die meisten Züge eines klassischen männlichen Helden auf—und noch einige andere mehr: Frömmigkeit, Treue zum Kalifen, mütterliche Fürsorge. Klassisch ist auch, dass sie als Kind aus Sicherheitsgründen bei einer Amme untergebracht wird. Sie lernt schon sehr früh ihre eigenen Waffen anzufertigen und zu Pferd zu kämpfen. Zusammen mit der Amme wird sie aber von einem anderen Stamm versklavt. Als nach einem Zweikampf mit ihrem Vater ihre Identität entdeckt und sie als Prinzessin anerkannt wird, will ihr Vater sie verheiraten. Sie will aber keinen Mann, und schon gar nicht ihren Cousin, den Wunschkandidaten ihres Vaters. Als der Kalif sie trotzdem mit ihm verheiratet, will sie die Ehe nicht vollziehen. Ihr Mann lässt sie aber betäuben und vergewaltigt und schwängert sie — während sie die Regel hat, was zufolge hat, dass ihr Sohn schwarz wird. Im Laufe der Zeit tötet sie sowohl ihren Mann als ihren Vater: Auf Männer ist nun mal kein Verlass, außer auf ihren Sohn, den sie fromm erzieht und eigenhändig zu einem Kämpfer ausbildet. Später im Erzählzyklus bildet sie mit ihm ein gefürchtetes Kriegergespann.
Dhāt al-Himma glänzt nicht nur im Zweikampf; sie ist auch eine großartige Heerführerin und Strategin. Unzählige Schlachten mit römischen und anderen Fürsten bestreitet sie, meist erfolgreich, aber nicht ohne selbst hin und wieder in Schwierigkeiten zu geraten oder sogar gefangen zu werden — sonst wären die Erzählungen spannungslos geworden.

Einmal wird sie von ihrem Gegner aus dem Sattel geworfen und nach einem Ringkampf von ihm auf die Schultern gehoben. Aber noch gibt sie nicht auf:

  • … und siehe da, Prinzessin Dhāt al-Himma hatte Hadlāmūs’ Kopf im Haltegriff und presste ihn mit aller Macht, bis das Blut aus seinen Ohren spritzte. Darauf gab sie ihm einen so gewaltigen Schlag auf den Kopf, dass ihm die Zähne aus dem Mund flogen und er ohnmächtig zu Boden ging. Sie stürzte sich auf ihn; er hatte keinen Schimmer, wo er war. Sie legte ihre Hände unter seine Achseln und hob ihn auf ihre Schultern. So wurde er zurück getragen, wo er doch anfangs sie getragen hatte. 5

Dhāt al-Himma war nur ein Beispiel; in den Epen sind Hunderte von Kriegerinnen aktiv; übrigens auch bei den oströmischen Gegnern.
Manchmal kämpfen 
die Frauen mit typisch weiblichen Mitteln. Zum Beispiel entblößt eine Kriegerin in der Hitze des Nahkampfs ihre Brüste oder noch mehr, worauf ihr männliches Gegenüber so in Verwirrung gerät, dass sie ihn leicht fertig machen kann.
 Aber meistens kämpfen die Frauen knallhart wie Männer und sind auch als solche gekleidet.
An Männern scheinen sie oft nicht interessiert zu sein oder nur als Erzeuger ihrer Kinder. Kriegerinnen bekämpfen auch andere Frauen aber sie respektieren und bewundern sich gegenseitig. Für häusliche Frauen dagegen, die nur Babys kuscheln oder Männern gefallen wollen, haben sie nicht viel übrig. Dhāt al-Himma nimmt die schönsten und tapfersten Feindinnen gefangen, als Gattinnen für die männlichen Krieger in ihrem Umfeld. Manchmal entstehen so doch glückliche Paare.

Gab es arabische Kriegerinnen nur in Erzählungen oder auch in Wirklichkeit? In Europa gab es in früheren Jahrhunderten immer wieder einige weibliche Soldaten und Matrosen, die sich aber nicht als Frauen zu erkennen gaben (Ausnahme: Jeanne d’Arc). In Japan gab es viele weibliche Samurais, die sich nicht verstecken mussten, sondern sogar berühmt waren: die Onna-Bugeisha. Dort waren die Waffen leichter und die Kampftechniken geschlechtsneutraler, so dass es weniger auf Muskelkraft ankam. Arabische Kämpferinnen kann man sich durchaus vorstellen, aber ob es sie wirklich gab, ist einfach nicht bekannt. Man könnte vielleicht mal die Knochen auf bekannten Schlachtfeldern analysieren (Marketenderinnen und Huren erst ausschließen).

Bleibt die Frage, warum kämpfende Frauen als Thema beim männlichen Publikum, das diesen Erzählungen lauschte, so beliebt waren. Eine Antwort auf diese Frage gibt es noch nicht, aber sie wird eher von Psychologen oder Anthropologen als von Arabisten kommen.

In Comicheften und in Fantasyfilmen, die oft Volksepen in moderner Gestalt sind, hat die arabische oder muslimische Kriegerin neue Popularität erhalten: die Superwoman. Dabei ist es fraglich, ob deren Autoren von der Tradition, die sie neu beleben, auch nur die geringste Ahnung haben.

ANMERKUNGEN
1. In „Die Geschichte von der Weiberlist,“ Enno Littmann, Erzählungen, iii, 502–8. Der arabische Text steht nicht in der gängigen Ausgabe von Būlāq, 1835. Littmann zufolge kann man ihn finden in Alf laila wa-laila, Calcutta 1814, ii, 367–78 (nicht gesehen); mehr Info in Marzolph/Van Leeuwen, 454 und „Concordance of Quoted Texts“ Nr. 340.
In ihrer Kurzgeschichte „Die List der Männer“ (Kaid ar-riǧāl, in Maqām Aṭīya) spielt die ägyptische Schriftstellerin Salwā Bakr auf die ursprüngliche Inschrift über dem Laden an. Bei ihr misslingt nämlich die List dreier Frauen, die sich ihres gemeinsamen Ehegatten durch Gift zu entledigen suchen. Der Mann wird von seinem Freund, dem Apotheker, gewarnt, nimmt das Gift nicht, täuscht seinen Tod nur vor, wacht überraschend auf und verstößt seine Frauen, die auf der Straße enden.
2. Alf laila wa-laila, Būlāq, 1835, i, 614–36; Enno Littmann, Erzählungen iii, 626–696. Tawaddud تودد liest sich in arabischer Schrift fast wie Teodor تودر ; so ist der Name in der spanischen Erzählung von der donzella Teodor gelandet. Später verarbeitete Lope de Vega (1562–1635) den Stoff zu einem Theaterstück.
3. Vesalius, De humani corporis fabrica, Basel 1543, S. 5ff
4. Kruk, Warriors, 37–91.
5. Kruk, Warriors, 55; meine Übersetzung.

BIBLIOGRAPHIE
Alf laila wa-laila, 2 Bde., Būlāq 1835.
– Salwā Bakr, Maqām Aṭīya. Riwāya wa-qiṣaṣ qaṣīra, Kairo 1986.
– Peter Heath, „Sīra Sha‘biyya,“ in EI2.
– Remke Kruk, The Warrior Women of Islam, Female Empowerment in Arabic Popular Literature, London (I.B. Tauris) 2014.
– Enno Littmann, Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten, 12 Teilbände, Wiesbaden (Insel Verlag) 1981.
– Lope de Vega, La doncella Teodor. Estudio y edición crítica de Julián González-Barrera, Kassel (Ed. Reichenberger) 2008.
– Malcolm C. Lyons, The Arabian Epic. Heroic and Oral Story Telling, 3 Bde., Cambridge 1995.
– Ulrich Marzolph und Richard van Leeuwen (Hrsg.), The Arabian Nights Encyclopedia, Santa Barbara/Denver/Oxford 2004.

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Handschriften und Textkritik

(Für Studierende der Arabistik. Wenn es Ihnen zu langweilig vorkommt, springen Sie gleich zum Beispiel von Abū Nuwās am Ende.

Handschriften
In arabischen Ländern werden erst seit dem 19. Jh. Bücher gedruckt (in Ägypten seit 1822). Davor waren bloß einige Werke in Europa und auf Malta gedruckt worden, die meisten religiöser oder wissenschaftlicher Natur oder für den Unterricht. Neuerdings hat die Weltpresse gemeldet, dass die ganze arabische Welt momentan so viele—so wenige!—gedruckte Bücher produziert wie das kleine Griechenland; ich kann die Richtigkeit dieser Mär nicht nachprüfen, aber groß ist die Bücherproduktion nicht. Und dann sind noch die meisten Bücher erbaulicher Natur.
Es gibt aber große Mengen (Hunderttausende!) handschriftlich überlieferte ältere Texte, von denen die meisten noch nicht veröffentlicht worden sind. Eine Tätigkeit der Orientalisten war von alters her das edieren (herausgeben) und durch Kommentare und Studien zugänglich machen bisher unedierter Texte. Diese Tätigkeit ist allmählich von Gelehrten in arabischen Ländern übernommen worden. Wenn moderne Orientalisten außerhalb der arabischen Welt einen Text herausgeben, wird das seit dem 19. Jh. nahezu immer eine textkritische Ausgabe. In der arabischen Welt werden sowohl textkritische als nicht­-kritische Ausgaben angefertigt. Das Herausgeben ist ja nicht den Gelehrten vorbehalten; jeder kann eine Handschrift abtippen (lassen) und in Druck geben. Die Zielsetzungen sind nicht notwendig wissenschaftlich, sondern können auch religiös o. ä. sein. In einigen islamischen Ländern sind aggressive, nahezu analphabete Gruppierungen dabei, aus religiösen Gründen Handschriften zu vernichten.
Sehr große Sammlungen arabischer Handschriften findet man in Kairo, Damaskus, Teheran, im Jemen und vor allem in Istanbul. In Europa in den Bibliotheken von Oxford, Cambridge, Leiden, Paris, Wien, Berlin, das in denen des Vatikan, des Klosters in Escurial u.v.a.
Idealerweise hat jede Bibliothek einen Handschriftenkatalog; in der Praxis haben nur fünf oder sechs Bibliotheken in ganz Deutschland einen für orientalische Handschriften. So ein Katalog kann ein hervorragendes wissenschaftliches Werk mit Beschreibungen der Manuskripte sein oder auch nur ein einfaches Heftchen. Tausende Handschriften sind noch gar nicht beschrieben worden. Man kann also in diesem Bereich noch wirkliche Entdeckungen machen. In einer Bibliothek sind die Handschriftenkataloge meistens nach Städten geordnet. Die Handschriften werden nach der Stadt und dazu wenn nötig noch nach der Bibliothek benannt, z. B. Leiden Or. 2245, İstanbul Köprülü 186, Damaskus Ẓāhiriyya 1123 usw.
Wenn man Handschriften eines bestimmten Textes, eines Verfassers oder über ein bestimmtes Thema sucht, schlägt man erst nach in:
­GAL = C. Brockelmann, Geschichte der arabischen Literatur, Bd. i–ii, Leiden 1943–49; Supplementband i–iii, Leiden 1937–1942.
Oder besser noch, jedoch nur für die ersten vier Jahrhunderte des Islams, in:
­GAS = F. Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, Bd. 1–10, Leiden 1967–1995.
Dort kann man auch lesen, ob es vielleicht schon Ausgaben des gewünschten Textes gibt. Das soll man natürlich auch nachprüfen: in den großen Bibliothekskatalogen der gedruckten Werke, die heutzutage alle über Internet zugänglich sind. (Berlin, Tübingen, Halle, London, Paris, Oxford, Cambridge, Leiden, Vatikan, Washington u.v.a.).
Für die Suche nach Handschriften sind GAL und GAS jedoch nicht ausreichend. Man kommt an den Handschriftenkatalogen nicht vorbei: Stadt für Stadt nachschlagen — das ist schon viel Arbeit! Daneben benutzt man natürlich Hinweise, die man in der Sekundärliteratur findet, falls es die gibt.

Die Beschreibung einer Handschrift in einem Katalog enthält u.a. die folgenden Daten:
-­ die Signatur: Berlin 13855 o.ä.
­- eine Beschreibung der äußeren Merkmale: geschrieben auf Papier so­und­so, Länge, Breite, mit Tinte so­und­so, gebunden soundso, Anzahl der Folia (Blätter), Maße des Schriftspiegels, wie viele Zeilen usw.
-­ Welche Sprache und welche Schriftart (Marokkanisch, Naskh, Ruqʿa, Nastaʿlīq u.a.) sind benutzt worden.
­- die Herkunft.
-­ das (mutmaßliche) Datum des Abschreibens.
­- der Name des Verfassers, wenn die Handschrift die erwähnt; sonst eine gelehrte Mutmaßung darüber, wer es sein könnte.
-­ der Name des Werks, wenn die Handschrift ihn erwähnt.
-­ Incipit: die ersten Zeilen des Textes.
-­ Excipit: die letzten Zeilen des Textes und, falls vorhanden, das Schlusswort des Kopisten, das mit einigem Glück auch ein Datum enthält: „Dieses Werk ist von XYZ am 23 Ramadān 871 abgeschrieben worden” — womit dann die Datierung gegeben wäre.
Durch Incipit und Excipit ist die Identität des Textes mehr oder weniger bestimmt; der Titel variiert oft in den unterschiedlichen Handschriften und reicht somit nicht aus.
-­ die Geschichte der Handschrift: „1607 von XYZ in Aleppo gekauft worden”; „ehemals im Besitz des Prinzen so­und­so, 1855 nach B. verkauft worden” o. ä., Diese kann sehr ausführlich werden, wenn die Handschrift selbst schon einen „Stammbaum” der Abschriften enthält oder die Namen der Besitzer durch die Jahrhunderte erwähnt.
Man zitiert die Folia so: die Vorderseite fol. 13r. = recto oder die Rückseite fol. 13v. = verso. Also nicht die Seitenzahlen wie in einem gedruckten Buch.
Habe ich noch etwas vergessen? Bestimmt.

Benutzte Materialen:
-­ Papyrus, uralt, hergestellt aus einer Grasart (heutzutage auch oft als Mitbringsel aus Ägypten mitgebracht; das Material ist im Wesentlichen dasselbe wie vor Tausenden von Jahren). Das Konservieren, Entziffern und Studieren von Papyri ist schwierig und eine Spezialität für sich. Beispiel für einen wichtigen Papyrus (in facsimile, also fotografiert): R. G. Khoury, Wahb b. Munabbih. Der Heidelberger Papyrus PSR Heid Arab 23. 1. Leben und Werk des Dichters. 2. Faksimiletafeln, Wiesbaden 1972.
-­ Pergament, mit Kalkbeize behandeltes Leder, ab 200 v. Chr.
-­ Papier, im 8. Jh. In China erfunden. Seit ± 800 n. Chr. wird Papier in den islamischen Ländern angefertigt; ins Osmanenreich wurde auch aus Europa Papier importiert. Das letztere ist oft mit Hilfe der Wassermarken zu datieren.

Tinte aus Galläpfeln u. v. a. farbige Tinte, Blattgold usw. will ich nicht weiter behandeln.

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Textkritik, textkritische Ausgaben
Eine unkritische Ausgabe kann z. B. zu Stande kommen, indem man nur eine Handschrift in Druck gibt und der Drucker(!) nach seinem Geschmack noch einiges an Wortwahl und Rechtschreibung korrigiert. So geschah das öfters im 19. Jh.
Eine andere Variante kann sein: ein moderner Bearbeiter des Textes vergleicht z. B. zwei Handschriften und wählt jeweils die „beste”—d. h. meist die am leichtesten lesbare—Fassung, fügt seinerseits noch „Korrekturen” hinzu ohne über seine Verfahrensweise Rechenschaft abzulegen, und gibt sein Produkt dann in Druck.

Eine textkritische Ausgabe ist immer vorzuziehen. Ziel der Textkritik ist es, so nahe wie möglich an das Original heranzukommen. Die beste Handschrift ist das Autograph, die eigene Handschrift des Verfassers, die jedoch nur in den seltensten Fällen zur Verfügung steht.
Man sammelt also alle Handschriften des Textes, d.h. digitale Aufnahmen oder Mikrofilme davon. Diese sind schärfer als Fotokopien; überdies ist Fotokopieren schlecht für den Erhalt der Handschriften. Noch schöner ist natürlich, wenn man die echte Handschrift vor sich hat, aber das ist meistens nicht möglich.
Wenn die Anzahl der hss. (= Handschriften; international: mss. = Manuskripte) klein ist, kann man sie alle benutzen. Wenn es viele sind, soll man erst mal eine Auswahl vornehmen. „Gute” Handschriften sind z.B. die älteste (aber nicht immer) und/oder die mit den wenigsten Sprach­- und Rechtschreibfehlern — obwohl diese Merkmale nicht ausschlaggebend sind: es geht ja um die ältesten Lesarten, die nicht von verständnislosen und/oder lässigen, faulen — oder auch allzu klugen, „korrigierenden”! — Kopisten korrumpiert worden sind. Die können auch in jüngeren Handschriften bewahrt worden sein.
Es gilt — aber nicht ausnahmslos — das Prinzip: lectio difficilior potior = die schwierigere Lesart ist zu bevorzugen.)
Es kann sinnvoll sein, ein stemma der Handschriften anzufertigen, eine Art von Stammbaum, in dem die Abhängigkeit der Handschriften untereinander festgelegt wird: hs. B macht immer dieselben Fehler wie die ältere hs. A; hss. C, D, und E gehören dagegen zu einer anderen Gruppe  verwandter Textfassungen usw. Je nach Befund muss man dann entscheiden, ob man
a) eine Handschrift als die beste bezeichnen kann, die man dann als Grundlage für seine Ausgabe wählt, oder
b) selbst einen „neuen“ Text herstellt, auf Grundlage der jeweils pro Fall besten Lesart in einer der Hss. Das wird dann also ein Mischtext, den es so nie zuvor gegeben hat.
Es kann sein, dass auch noch Textzeugen herangezogen werden, z. B. Zitate aus dem Text, die in anderen Werken vorgefunden werden, oder Übersetzungen des Textes in andere Sprachen, die vielleicht älter sind als die älteste noch vorhandene Handschrift im Original.
Dann stellt der Herausgeber den Text fest. Die in den hss. vorgefundenen Lesarten, die er nicht in seinen Text aufnimmt, führt er in einem textkritischen Apparat (apparatus criticus) auf. S. die Beispiele auf dem Sonderblatt.
Jeder Handschrift und jedem Textzeugen hat er ein siglum gegeben: einen Buchstaben, ein Kürzel oder ein Sonderzeichen. Vor seine Ausgabe setzt er eine Liste der sigla und der übrigen von ihm verwendeten Kürzel und Zeichen. Beispiel einer solchen Seite, diesmal mit syrischen hss.:

  • SIGLA AND ABBREVIATIONS
    Sigla used for the Syriac mss.. (Only the sigla for manuscripts L, l,
    F2, M and V5 are used in the apparatus)
    F1 : Florence, Laurentianus syr. 69 olim 186
    F2 : Florence, Laurentianus syr. 83 olim 187
    L : London, British Library Or. 4079
    l : London, British Library Or. 9380
    M : Birmingham, Mingana 310
    m : Birmingham, Mingana 23
    O : Oxford, Bodleian Library 122 (Huntingdon 1)
    P : Princeton, Theological Seminary (Speer Library), Nestorian 25
    R : Manchester, John Rylands University Library 56
    V 1.2 : Vatican, syr. 603–04
    V 3.4.5 : Vatican, syr. 613–615
    – : om. (omitted by)
    + : add. (added by)
    corr. : corrected by
    ill. : illegible
    i.m. : in margine
    (?) : doubtful reading
    {…} : denotes a parenthesis or a place where the translated text has been re-worded for the purpose of enhancing the readibility
    AQ : Abū Qurra”s Arabic version of De virtutibus (cf. Kellermann-Rost)
    IM : Ibn Miskawayh, Tahḏīb al-aƒlāq, Beirut, 1966 (English trl. 1968)
    IṬ : Ibn aṭ-Ṭaiyib”s Arabic version of De virtutibus (cf. Kellermann-Rost)
    T : Naṣīr ad-Dīn Ṭūsī, Aḫlāq-e Nāṣiri, Teheran, 2536 = 1356 H
    W : G. M. Wickens, The Nasirean Ethics by Naṣīr ad-Dīn Ṭūsī, London, 1964

Im textkritischen Apparat meldet er jede wichtige Variante zusammen mit dem siglum.
Der Sinn dieser arbeitsintensiven Tätigkeit ist, dass das hoffentlich kritische Lesepublikum seine Vorgehensweise kontrollieren, ggf. anderer Meinung sein kann, wobei es quasi die hss. selbst zur Verfügung hat.
Nicht alle Varianten müssen erwähnt werden. Es ist z. B. nicht sinnvoll zu erwähnen, dass eine hss. الله تعالى schreibt und eine andere الله عز وجل. Auch Schlampereien mit den Pünktchen können unerwähnt bleiben. Ein Kollege hat einen allzu sehr ausgeuferten Apparat mal als „Variantenfriedhof” bezeichnet.

In der Ausgabe verwendet der Herausgeber meistens die moderne Rechtschreibung des Arabischen. Die Rechtschreibung der Hss. weicht davon meistens erheblich ab! Wenn es nur eine Hs. gibt, die sehr alt ist, oder gerade auch sprachlich interessant ist, oder wenn der Text nicht ganz in der Hochsprache abgefasst ist, kann es sinnvoll sein, die ursprüngliche Rechtschreibung beizubehalten (So z. B. Muhsin Mahdis Ausgabe der 1001 Nacht). Eine Ausgabe, die sich streng an die Schreibweise der Handschrift hält, heißt eine diplomatische Ausgabe.

Einige Probleme, mit denen der Herausgeber zu tun bekommt:
-­ Undeutlich geschriebene Buchstaben und Textstellen.
-­ Buchstaben ohne Pünktchen, bzw. mit den falschen Pünktchen.
-­ Zerfressene, zerriebene oder sonst irgendwie physisch vernichtete Textstellen.
-­ Lese-­ und Schreibfehler seitens des Kopisten; اريب statt لؤوب , اديب statt دلام , كؤوب statt كلام.
-­ Umstellung von Buchstaben: مكرب statt مركب.
­- Haplographie (Einfachschreibung): von zwei ähnlich aussehenden Buchstaben oder Wortteilen wurde versehentlich ein Teil ausgelassen: مبينة statt متبينة. Oder eins von zwei einander ähnlichen Wörtern wird ausgelassen: يكون statt يكون كون.
-­ Dittographie (Doppeltschreibung): versehentliche Doppeltschreibung eines Wortes oder Wortteils: سؤالكم لكم statt سؤالكم.
-­ Ausfall durch Homoioteleuton (gleiches Ende): in einer Zeile steht z.B. عيونهم, in der nächsten Zeile kommt das Wort noch mal vor; das Auge irrt ab auf das zweite, und der dazwischenstehende Textteil wird nicht abgeschrieben.
-­ Änderungen seitens des Kopisten, der ein Wort oder den Teil eines Satzes neu schreibt, weil er den ursprünglichen Text nicht verstand, unschön oder sogar inhaltlich unrichtig fand oder weil er einfach müde war oder keine Lust mehr hatte. Das Letztere kommt öfters bei Handschriften vor, die im Ramadan abgeschrieben wurden.
-­ Glossen. Ein Wort oder Ausdruck wird am Rande des Textes erklärt, mit einem Synonym oder einer Umschreibung. Beim nächsten Abschreiben landet diese Glosse in dem Text selbst, der fortan so weiter überliefert wird.

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Beispiel
Den Nutzen der Textkritik kann ich anhand eines netten kleinen Gedichts von Abū Nuwās (ca. 756–814) klar machen.

لا تبك ليلى ، ولا تطرب إلى هند،     *     واشرب على الورد من حمراء كالورد
كأسا إذا انحدرت في حلق شاربها،     *     أجدته حمّرتها في العينِ والخد
فالخمر ياقوتة ، والكأس لؤلؤة      *     من كف جارِية ممشوقة  القد
تسقيك  من عينها خمراً  ومن يدها     *     خمْراً، فما لك من سكرين من بد
لي نشوتان، وللندْمان واحدة ،     *     شيء خصصت به من بينهِم وحدي

Man kann es hier auch hören. Anklicken: Don’t cry for Layla.

An zwei Stellen ist jedoch der Text nicht in Ordnung (rot markiert).
Die textkritische Ausgabe von Wagner (s. hier) liest أَحْذَتْهُ statt أَجْدَتْهُ. Das korrigiert eine normale, häufig vorkommende Textkorruption. Irgendein Kopist war schlampig oder verstand das ursprüngliche Wort nicht und ersetzte es durch ein einfacheres Wort.

Die zweite Stelle ist interessanter. Die Wörter من عيْنها خمراً ومن يدها , denen zufolge die Dichterpersönlichkeit einen Wein aus dem Auge und einen anderen aus der Hand der weiblichen Bedienung zu trinken bekommt, finden sich zwar in einigen Handschriften, aber sie sind flach und bedeutungslos. Der richtige Text und zugleich die schwierigere Lesart ist: من يدها خمراً ومن فمها und das macht Sinn: er bekommt einen Wein aus ihrer Hand, nämlich den Wein, den sie ihm aus dem Krug einschenkt, und einen anderen aus ihrem Mund. Ihren Speichel nämlich: Sie gibt ihm — und nur ihm — einen Kuss — und ihr Speichel ist ein Wein, der genauso berauscht wie der andere. Dass der Speichel einer schönen Frau (wie) Wein ist, ist ein bekanntes Motiv.

Für den korrekten Text siehe also die Ausgabe von Wagner. Ein unpoetischer Übersetzungsversuch von mir folgt hier:

  • Weine nicht um Laila, traure Hind nicht nach,
    trink lieber auf Rosa einen Becher von einem rosaroten Wein,
    der, wenn er die Kehle des Trinkers hinuntergleitet,
    seinem Auge und seinen Wangen einen Teil ihrer Röte abgibt.
    Der Wein ist ein Rubin, der Becher ist eine Perle,
    aus der Hand einer Sklavin, rank und schlank.
    Sie gibt dir einen Wein aus ihrer Hand zu trinken und einen aus ihrem Mund;
    so musst du wohl zweimal betrunken werden.
    Ich habe zwei Räusche, meine Kumpane nur einen;
    das wird nur mir zuteil und ihnen nicht.

Literaturhinweise
– Abū Nuwās: Ewald Wagner, Der Dīwān des Abū Nuwās, Bd. 3, Stuttgart 1988. Das zitierte Gedicht steht S. 106.
– A. J. W. Huisman, Les manuscrits arabes dans le monde. Une bibliographie des catalogues, Leiden 1967.
– J. D. Pearson, Oriental Manuscripts in Europe and North America. A survey, Zug 1971 (Bibliotheca Asiatica 7).
– Fuat Sezgin, „Bibliotheken und Sammlungen arabischer Handschriften,” in GAS vi, 311–466.@
– Wolfgang Vogt (hrsg.), Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland, Wiesbaden 1968—.
– MME = Manuscripts of the Middle East, 1986–1992. (Zeitschrift)
Middle East Manuscripts online
– Régis Blachère und Jean Sauvaget, Règles pour éditions et traductions de textes arabes, Paris 1953.

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Ta’abbata Sharran, Räuber und Poet dazu

Ta’abbata Sharran war ein arabischer Dichter, der ca. 550, also lange vor der Enstehung des Islams, gelebt haben soll. Er gehörte zum Stamm Fahm, aber offensichtlich hielt er es im Stammesverband nicht aus. Es gab solche Menschen, die entweder selbst ihren Stamm verließen oder vergrault wurden und dann allein weiterlebten. Manchmal fanden sie bei Geistesverwandten Anschluss und bildeten eine kleine Bande von Räubern (su‘lūk, sa‘ālīk), die von der Jagd und von Überfällen und Raubzügen lebten. Helden und Kraftmenschen waren sie auch, denn ohne Stammesverband in einem wüsten Land zu überleben fordert Mut und Kraft. Anders als unsere modernen Räuber waren sie oft gute Dichter. Das war auch Ta’abbata Sharran .1
Sein Name bedeutet: „Er hat etwas Böses unter dem Arm getragen“ und ist also kein Name, sondern ein Beiname. In der „bürgerlichen“ Stammesgesellschaft hieß er Thābit ibn Djābir al-Fahmī. Es gibt mindestens drei Anekdoten, die erzählen, wie er zu seinem Beinamen gekommen ist:

  • 1. Die Poesieüberlieferer erzählen, dass er eines Tages in der Wüste einen Widder sah. Er hob ihn auf und trug ihn unter seinem Arm, aber das Tier pinkelte ihn den ganzen Weg an. Als er nahe an [das Lager] seines Stammes gekommen war, wurde es ihm zu schwer.2 Er konnte es nicht länger tragen und warf es von sich, und siehe da, es war ein Wüstendämon (ġūl, ghoul). Seine Leute fragten ihn:
    „Was hast du unter deinem Arm getragen?“
    „Einen Wüstendämon,“ antwortete er.
    „Dann hast du schon etwas Böses unter dem Arm getragen!“
    Und danach wurde er benannt.3

Eine andere, ziemlich gekünstelte Anekdote, zeigt den Mutter-Sohn-Konflikt des unerträglichen Rauhbauzes.

  • 2. Es wird auch erzählt: Nein, seine Mutter sagte zu ihm: „Alle deine Brüder bringen mir abends etwas mit, aber du nicht!“ Darauf sagte er: „Heute Abend werde ich dir etwas mitbringen.“ Er ging weg und fing eine große Anzahl Nattern, die größten, die er erwischen konnte. Als er am Abend nach Hause ging, tat er diese in einen Sack, den er unter seinem Arm trug. Den warf er vor seine Mutter hin. Sie öffnete ihn und siehe da, da schossen die Nattern los in ihrem Zelt. Sie sprang auf und rannte nach draußen.
    „Was hat Thābit dir mitgebracht?“ fragten die Frauen des Stammes.
    „Nattern in einem Sack!“
    „Aber wie hat er den denn getragen?“
    „Unter seinem Arm.“
    „Dann hat er schon etwas Böses unter seinem Arm getragen!“
    So blieb der Name Ta’abbata Sharran an ihm hängen.4

Von einer dritten Anekdote zitiere ich nur den in diesem Zusammenhang relevanten Teil:

  • 3. […] und er wurde Ta’abbata Sharran genannt, weil er, wie man erzählt, in einer dunklen Nacht, an einer Stelle namens Rahā Bitān, im Stammesgebiet der Hudhail, einer ghūl begegnete. Sie versperrte ihm den Weg, aber er bekämpfte sie so lange, bis er sie getötet hatte. Die ganze Nacht blieb er auf ihr liegen und am nächsten Morgen trug er sie unter seinem Arm zu seinen Gefährten. Diese sagten zu ihm: „Du hast schon etwas Böses unter dem Arm getragen!“5

Ein oder eine ghūl ist ein Dämon, der sich in der Wüste aufhält und einsame Reisende belästigt. Eine seiner Eigenschaften ist, dass er seine Form ändern kann. Oft nimmt er die Gestalt eines weiblichen Wesens an.6
Ta’abbata Sharran hat Verse über eine Begegnung mit einem Wüstendämon gedichtet. 

  • 4. Da leistete mir die ghūl nachbarliche Gesellschaft.
    Oh Nachbarin, wie unheimlich bist du doch!
    Ich forderte sie zum Koitus auf, aber sie machte mir Schwierigkeiten,
    und ich versuchte es (nur) zu tun.
    Wenn mich jemand nach meiner Nachbarin fragt,
    so hat sie ihre (letzte) Wohnung an der Krümmung des Sandhügels.7

„Nachbarin“ war eine Benennung, die Beduinen auf ihre Ehefrauen anwendeten. Der Dichter ist von dem gefährlichen Wesen überhaupt nicht beeindruckt. Im Gegenteil: Er verspottet den ängstlichen Glauben des braven Stammesvolks. Für ihn selbst existieren gar keine Wüstendämonen; fuck the ghoul! Und sollte jemand anders das auch tun wollen, sie wohnt um die Ecke beim Sandhügel, ihr wisst schon. Die Adresse ist im sandigen Arabien eindeutig.

Der Wüstendämon kommt in noch in weiteren Verszeilen vor, von denen ich hier einige zitiere:

  • 5. Auf, wer berichtet den Recken des Stammes Fahm,
    was mir bei Rahā Bitān begegnete?
    Ich traf die ghūl, als sie durch eine Wüste,
    so eben wie eine Seite (zum Beschreiben), hastete.
    Ich sprach zu ihr: Wir sind beide vor Müdigkeit erschöpft.
    (Du bist mein) Reisegenosse. Drum lass mir meinen (Ruhe)platz!
    Aber sie griff mich an. Da streckte meine Hand
    ihr ein gutgefegtes jemenitisches (Schwert) entgegen.
    Ich schlug sie ….; sie fiel auf ihre Vorderpfoten und ihren Hals
    […]
    und ich ließ nicht von ihr ab, mich auf sie lehnend,
    um am nächsten Morgen zu sehen, was zu mir gekommen war.

Auch hier brüstet sich die Dichterpersona, wie sie die ghoul bezwungen hat; auch hier liegt er, der Dichter, auf ihr, wenn auch von Sex keine Rede ist.

Der Versuch ein Gespräch anzuknüpfen erinnert an das „Gespräch mit dem Wolf,“ ein Motiv aus der etwas späteren Poesie. Wenn ein einsamer Reisender in der Wüste einem ebenfalls einsamen Wolf begegnet, haben die beiden viel gemeinsam: ihren Hunger, ihre Einsamkeit, ihre heikle Lage. Aber solche Begegnungen sind auch sehr gefährlich; deshalb sprechen die Dichter dem Wolf oft beschwörend zu.9 Das geschieht hier auch, aber naturgemäß geht die ghoul nicht darauf ein.

Anekdote Nr. 3. will den merkwürdigen Beinamen des Dichters erklären, wie die anderen auch. Aber sie ist von dem Gedichtfragment Nr. 5 inspiriert und will dazu ein wenig „Geschichtsschreibung“ bieten. Die Erzählung verhält sich zum Gedicht wie eine sabab an-nuzūl-Geschichte zu einem Koranvers. 

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ANMERKUNNGEN
1. Albert Arazi, „Ta’abbaṭa Sharran“ in EI2. Ewald Wagner, Kap. „Räuberdichtung“ in seinem Grundzüge der klassischen arabischen Dichtung, Band 1. Die altarabische Dichtung, Darmstadt 1987, 135–44.
2. Wie viele Meter können Sie zurücklegen mit einem Widder unter dem Arm?
3. Abū al-Faraǧ al-Iṣfahānī, Kitāb al-Aġānī, hrsg. Kairo 1927, xxi, 127.

ذكر الروة أنّه كان رأى كبشًا في الصحراء فاحتمله تحت إبطه فجعل يبول عليه طول طريقه. فلما قرب من الحيّ ثقل عليه الكبش فلم يُقِلّه فرمى به فإذا هو الغول. فقال له قومه: ما تأبّطَّ يا ثابت؟ قال: الغول. قالوا: لقد تأبّطَّ شرا! فسُمّي بذلك.

4. Aġānī xxi,127:

وقيل بل قالت أمّه له كل إحوتك يأتيني بشيء إذا راح غيرَك. فقال لها: سآتيك الليلة بشيء. ومضى فصاد أفاعيَ كثيرة من أكبر ما قدر عليه. فلمّا راح أتى يهنّ في جِراب متأبّطًا به فألقاهه بين يديها ففتحته فتساعين في بيتها. فوثب وخرجت. فقال لها نساء الحيّ: ما ذا أتاك به ثابت؟ فقالت: أتاني بإفاعٍ في جراب. وقلن: وكيف حملها؟ قالت: تأبّها. قلن: تأبّط شرّاً، فلزمه تأبّطا شرّاً.

5. Aġānī xxi,128–29:

[…] وإنّما سمّي تأبّط شرّاً لأنهه فيما حُكي لنا٬ لقي الغول في ليلة ظلماء في موضع رَحَى بِطَانٍ في بلاد هذيل فأخذت عليه الطريقَ فلم يزل بها حتى قتلها وبات عليها فلمّا أصبح حملها تحت إبطه وجاء بها الى أصحابه فقالوا له: لقد تأبّطّ شرّاً.

6. Ghouls gibt es noch immer; vgl. was hier gesagt wird zu Soraya Qadir, alias Dust.
7. Aġānī xxi, 128, Übersetzung von Ewald Wagner, o.c., i, 140

فَأَصْبَحَتِ‎ الغُولُ‏ لِي‏ جَارَةً  *  فَيَا جَارَتَا لَكِ‎ مَا أَهْوَلاَ
فَطَالَبْتُهَا بُضْعَهَا فَالْتَوَتْ  *  عَلََيَّ‏ وَحَاوَلْتُ‏ أَنْ‏ أَفْعَلاَ
فَمَنْ‎ كَانَ‎ يَسْأَلُ‏ عَنْ‏ جَارَتِي  *  فَإنَّ‏ لَهَا باللِّوَى مَنْزِلاَ

8. Aġānī xxi, 129, Übersetzung zum Großteil von Ewald Wagner, o.c., i, 140–1.

أَلاَ‎ مَنْ‏ مُبْلِغٌ‏ فِتْيَانَ‏ فَهْمٍ  *  بِمَا لَقِيتُ‏ عِنْدَ‏ رَحَى بِطَانِ
وَأَنِّي‏ قَدْ‎ لَقِيتُ‏ الغُولَ‏ تَهْوَى  *  بِسَهْبٍ‏ كَالصَّحِيفَةِ‏ صَحْصَحَانِ
فَقُلْتُ‏ لَهَا‏: كِلاَنَا نِضْوَأَيْنِ  *  أَخُو سَفَرٍ‏ فَخَلِّي‏ لِي‏ مَكَانِي
فَشَدَّتْ‏ شَدَّةً‏ نَحْوِي‏ فَأَهْوَى  *  لَهَا كَفِّي‏ بِمَصْقُولٍ‏ يَمَانِي
فَأَضْرِبُهَا بِلاَ‎ دَهَشٍ‏ فَخَرَّتْ  *  صَرِيعًا لِلْيَدَيْنِ‏ وَلِلْجِرَانِ
[‏…]
فَلَمْ‏ أَنْفَكَّ‏ مُتَّكِئًا عَلَيْهَا  *  لأَنْظُرَ‏ مُصْبِحًا مَاذَا أَتَانِي

9. Manfred Ullman, Das Gespräch mit dem Wolf, München 1981.

Diakritische Zeichen: Taʾabbaṭa Šarran, ṣuʿlūk, ṣaʿālīk, Ṯābit ibn Ǧābir al-Fahmī, ġūl, Raḥā Biṭān, Huḏail

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Ibn Dawud: Verliebtheit als Krankheit

(Übersetzter Text, 10. Jahrhundert)

„Ein Mediziner hat gesagt: Leidenschaftliche Liebe ist eine Begierde die im Herzen entsteht, in das sich die Substanzen des Verlangens sammeln. Je nachdem sie stärker wird, wird der Verliebte aufgeregter und hartnäckiger und seine Unruhe und Schlaflosigkeit nehmen zu. Dabei wird sein Blut verbrannt und in schwarze Galle umgesetzt, und seine gelbe Galle entzündet sich und geht ebenfalls in schwarze Galle über. Dieses Übermaß an schwarzer Galle verdirbt das Denkvermögen, was mit Stottern, Abnahme der Vernunft, unrealistischen Erwartungen und unerfüllbaren Wünschen einhergeht, bis es letztendlich zum Wahnsinn führt. Ein Verliebter tötet dann häufig sich selbst, oder er stirbt vor Kummer, oder er schaut die ganze Zeit auf den Gegenstand seiner Leidenschaft und stirbt dann vor Freude oder Gram. Oder er gibt einen Seufzer von sich, infolge dessen sein Geist vierundzwanzig Stunden lang verschwindet, so dass man denkt, er wäre gestorben, und ihn bei lebendigem Leibe begräbt. Oder er seufzt so tief dass sein Atem in seinem Herzbeutel stecken bleibt; das Herz umschließt ihn und lässt ihn nicht mehr los bis er stirbt. Oder er ist ruhig und starrt die ganze Zeit auf seine Geliebte, oder er sieht diese plötzlich, und dann ist seine Seele auf einmal weg, ganz unerwartet.
Bei einem leidenschaftlich Verliebten lässt sich beobachten, dass das Blut bei bloßer Nennung seines Geliebten aus seinem Gesicht wegzieht; in diesem Fall kann der Ablauf sein wie erwähnt. Wenn jemand in diesem Zustand verkehrt, kann Eingreifen von Menschenhand ihm nicht helfen, sondern er kann nur noch durch eine Gnade, die ihm seitens des Allerhöchsten widerfährt, geheilt werden. Das ist, weil eine zeitweilige Erkrankung, die aus einer unabhängig bestehenden Ursache hervorgeht, zwar beendet werden kann, indem man ihre Ursache wegnimmt, aber wenn zwei Ursachen gleichzeitig auftreten und die eine ist die Ursache der jeweiligen anderen, dann gibt es keine Manier eine von der beiden zu beenden. Wenn die schwarze Galle die Ursache stetigen Grübelns ist, und dies ist wiederum die Ursache des Verbrennens und Umsetzens von Blut und gelber Galle, so dass die Melancholie noch verstärkt wird, dann nimmt das Grübeln mit der schwarzen Galle zu, und die schwarze Galle mit dem Grübeln. Dies ist eine unheilbare Krankheit, die Ärzte nicht behandeln können.“

Ausgabe und Übersetzung eines Textes von Muḥammad ibn Dāwūd al-Iṣbahāni (Bagdad, 869–910), Kitāb al-Zahra, hg. A.R. Nykl, Chicago 1932, S. 17. Auf Grund der Handschriften und Textzeugen habe ich einige Textänderungen durchgeführt.

وقال بعض المتطبّبين: العشق طمع يتولّد في القلب وتجتمع اليه موادّ من الحرص. فكلّما قوِي ازداد صاحبه في الاهتباج واللَجاج وشدّة القلَق وكثرة السهر، وعند ذلك يكون احتراق الدم واستحالته الى السوداء والتهابُ الصفراء وانقلابُها الى السوداء. ومن طُغيان السوداء فساد الفكر، ومع فساد الفكر تكون الفدامة ونُقصان العقل ورجاء ما لا يكون وتمنِّي ما لا يتمّ حتّى يؤدّي ذلك الى الجنون. فحينئد رُبّما قتل العاشقُ نفسَه ورُبّما مات غَمّاً ورُبّما نظر الى معشوقه فيموت فرحًا أو أسفًا، ورُبّما شهَق شهقةً فتختفي منها رُوحُه أربعًا وعشرين ساعةً، فيظنّون أنّه قد مات فيقبِرونه وهو حيّ. ورُبّما تنفّس الصُعداءَ فتختنق نفسُه في تأمور قلبه، وينضمّ عليه القلبُ فلا ينفرج حتّى يموت. ورُبّما ارتاح وتشوّف للنَظَر أو رأى من يُحبّ فجأةً، فتخرج نفسُه فجأةً دفعةً واحدة. وأنت ترى العاشق إذا سمع بذكر من يُحبّ كيف يهرُب ويستحيل لونُه وإن كان الأمر يجري على ما ذُكر. فإنّ زوال المكروه عمّن هذه حاله لا سبيل إليه بتدبير الآدميين ولا شفاءَ له الّا بلطفٍ يقع له من ربّ العالمين، و ذلك أن المكروه العارض من سبب قائمٍ منفردٍ بنفسه يتهيّأ التلطّف في إزالته بإزالة سببِه، فإذا وقع السببان وكلّ واحد منهما علّه لصاحبه لم يكن الى زوال واحد منهما سبيل. فإذا كانت السوداء سببًا لاتّصال الفكر وكان اتّصالُ الفكر سببًا لاحتراق الدم والصفراءِ وقلبِها الى تقوية السوداء فالسوداءُ كلّما قويت قوّت الفكرَ، والفكرُ كلّما قوِي قوّى السوداءَ. وهذا هو الداءُ العياء الذي يعجَز عن معالَجته الأطِبّاءُ.

Weiterführende Literatur: H.H. Biesterfeldt und D. Gutas, „The Malady of Love,“ JAOS 104 (1984), 21–55.

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Ibn Dawud: der Liebestod

Ibn Dawud, mit vollständigem Namen Abū Bakr Muhammad ibn Dāwūd al-Isbahānī (Bagdad, 868–910), soll an unerfüllter Liebe gestorben sein. Dazu gibt es eine Anekdote, von der ich drei Varianten gefunden habe.

Die klassische, oder besser: meist zitierte Version nenne ich Version 1:

  • [Langer Isnad …] – von Ibrāhīm ibn ‘Arafa Niftawayh, dem Grammatiker: Ich besuchte Muḥammad ibn Dāwūd al-Isbahānī während der Krankheit, an der er gestorben ist, und fragte ihn:
    – Wie fühlst du dich jetzt? Er antwortete:
    – Die Liebe für du-weißt-schon hat mich in den Zustand gebracht, den du siehst.
    – Was hat dich daran gehindert, dich an ihm zu ergötzen, so lange du es konntest?
    – Genuss hat zwei Aspekte: die verbotene Wollust und das erlaubte Anschauen. Das letzte hat mich in den Zustand gebracht, den du siehst. Und von der verbotenen Wollust hat mich der Hadith abgehalten, den mein Vater mir von Suwaid überliefert hat [… folgt Isnad, der zurückgeht bis zum] – Propheten: „Wer leidenschaftlich liebt, es verbirgt, keusch bleibt und darin beharrt, dem schenkt Gott Vergebung und den führt er ins Paradies.“
    Darauf rezitierte er einige Verse aus eigener Hand:

    • Schau auf den Zauber seiner Augen,
      schau auf die Schwärze seines trägen Blicks.
      schau auf die Härchen seiner Backe,
      zerstreut wie Ameisen, krabbelnd auf Elfenbein.1

    und ebenfalls:

    • Was hat man gegen seine Backenschwärze
      wo man blühenden Zweigen nichts vorzuwerfen hat?
      Wenn die Schwärze auf seinen Backen eine Schande ist,
      sind Augenlider das auch für die Augen.

    Ich sagte zu ihm:
    – Im Recht lehnst du Analogien also ab, aber in der Poesie nicht?
    – Ja, dazu haben das Besiegen der Leidenschaft und die Beherrschung der Lust mich gebracht.
    Er verstarb noch in derselben Nacht, oder am Tag danach.2

Version 2. Eine Variante der Erzählung lautet wie folgt:

  • Al-Marzubānī sagt […] – Abū ‘Abdallāh Niftawayh und Muhammad ibn Dāwūd al-Isbahānī verband eine feste Zuneigung und ein vollkommenes Zugetansein. Ibn Dāwūd war in Abū al-Ḥusain Muḥammad ibn Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaydalānī verliebt, was zu seinem Tod geführt hat.
    Ibn ʿArafa Nifṭawayh hat gesagt: Ich besuchte ihn während der Krankheit, an der er gestorben ist, und fragte ihn:
    – Was ist mit Ihnen, mein Herr?
    Er antwortete:
    – Die Liebe für du-weißt-schon hat mich in den Zustand gebracht, den du siehst.
    – Was hindert dich daran, dich an ihm zu ergötzen so lange du noch kannst?
    – Den Genuss gibt es in zwei Sorten: eine verbotene und eine erlaubte. Was die verbotene betrifft, Gott bewahre!, und die erlaubte hat mich in diesen Zustand gebracht.
    Darauf sagte er: Suwaid [… folgt Isnad] – der Prophet hat gesagt: „Wer liebt, keusch bleibt, es verbirgt und dann stirbt, der stirbt als Märtyrer.“ Daraufhin wurde er ohnmächtig, und als er zu sich kam, öffnete er seine Augen. Ich sagte:
    – Ich sehe, dass dein Herz jetzt ruhiger schlägt und deine Stirn nicht mehr so schweißnass ist; das ist ein Zeichen guter Gesundheit.
    Aber er stimmte an und rezitierte:

    • Ich sage zu meinen beiden Freunden, die mich zu trösten versuchen,
      fehlgeleitet durch meine jetzt ruhige Stirn:
      „Sucht Trost in Selbstbeherrschung beim Verlust eures Bruders,
      fangt an zu beten und lasst mich in Ruhe!
      Ich höre nicht zu stöhnen auf, weil meine Krankheit nachlässt,
      ich bin zum Stöhnen zu schwach geworden.“1

    Er verstarb noch in derselben Nacht; das war im Jahr 297 [= 909 AD].
    Die Menschen sagen, dass Niftawayh darunter sehr gelitten habe, untröstlich gewesen sei und ein Jahr lang keine Sitzungen abgehalten habe. Nach diesem Jahr sei er wieder erschienen und habe wieder Sitzungen abgehalten. Als er darauf angesprochen worden sei, habe er geantwortet: Abū Bakr ibn Dāwūd hat mir mal gesagt, als wir über die Erfüllung der Freundschaftspflichten diskutierten: „Das Wenigste, was jemand für einen [verstorbenen] Freund tun kann, ist Trauer3 tragen während eines ganzen Jahres, nach dem Vers Labīds:“

    • Bis zu einem Jahr; dann sprich das Wort: „Adieu!“
      Wer ein volles Jahr weint, ist entschuldigt.

    Wir haben also ein Jahr um ihn geweint, wie er es verlangt hatte.4

Version 3:

  • Als Ibn Dawud dem Tode schon sehr nah war, kam Ibrāhīm ibn ‘Arafa Niftawayh zu ihm zu Besuch und sagte: „Abū Bakr,5 was ist das, wo du doch kannst und dein Geliebter willig ist?“ Er antwortete: „Dies ist der letzte Tag meines Lebens in dieser Welt. Möge Gott Mohammeds Fürsprache fern von mir halten, wenn ich je meine Hose für Verbotenes aufknüpfe! Mein Vater hat mir überliefert, mit einem Isnad bis zu Ibn ‘Abbās: „Wer leidenschaftlich liebt, es verbirgt, keusch bleibt und darin beharrt und dann stirbt, stirbt als Märtyrer und Gott führt ihn ins Paradies“.“6

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Ich muss Sie enttäuschen: diese rührende Sterbeszene hat so nicht stattgefunden. Diese Anekdote ist berstend voll von Motiven aus Ibn Dawuds Buch Kitab az-Zahra und von Auffassungen zu juridischen Themen, derentwegen er bekannt war. Sie ist mit az-Zahra im Hinterkopf geschrieben.

So lange du konntest: „Wer durch Unvermögen von verbotenen Handlungen abgehalten wird, verdient keinen Dank,“ sagt Ibn Dawud in seinem Buch.7 Keuschheit üben, ohne zum Gegenteil in der Lage zu sein, ist sittlich nicht wertvoll.

Der erlaubte Blick kann eine juristische Meinung Ibn Dawuds gewesen sein. Während die meisten Rechtsschulen ein-, höchstens zweimal einer künftigen Ehefrau ins Gesicht zu sehen für erlaubt hielten, soll Ibn Dawud dies in uneingeschränkter Zahl für erlaubt gehalten haben. Möglich ist es, aber es kann auch sein, dass dieser Standpunkt aus seinem Kitab az-Zahra destilliert worden ist, in dem ja die Wirkung des Blickes in der Liebe ausführlich behandelt wird. Gleich schon die Überschrift des ersten Kapitels lautet: „Viel Anschauen führt zu langem Seufzen.“ 8

Die Lust auf andere Personen als einer Ehepartnerin oder einer Sklavin ist nach den Schariagelehrten verboten, obwohl zu jener Zeit Geschlechtsverkehr mit einem Mann oder einem heranwachsenden Jüngling von niemandem so tragisch genommen wurde. Ob Ibn Dawud dies vielleicht strenger als die meisten Juristen betrachtete, ist unbekannt. Wahrscheinlicher ist, dass der Erzähler durch einen Hinweis auf ein bestehendes Verbot die Chose etwas pikanter machen wollte, zumal Ibn Dawud selbst Schariagelehrter war. In Version 3 wird die Wollust schon recht unumwunden angedeutet („[…] Hose aufknüpfe“).

Sehr naheliegend war die Anwendung des berühmten Liebeshadiths (hadīth al-‘ishq), der die Keuschheit propagiert, weil dieser von Ibn Dawud selbst (in einer etwas anderen Fassung) in seinem Kitab az-Zahra verbreitet worden ist. Auch deswegen war er berühmt. Die Überschrift des Kapitels, in dem er den Liebeshadith zitiert, lautet: „Ein verfeinerter Mensch hat keusch zu leben.“ 9

Geheimhaltung. In diesem Hadith kam auch das Geheimhaltungsmotiv vor. In der obigen Anekdote finden wir es in den Worten: „Meine Liebe für du-weißt-schon“ wieder. In Version 2 wird zwar der Namen des Geliebten genannt, aber nur im Vorspann; nicht in der eigentlichen Anekdote.

Poesie auf dem Totenbett. Vor dem Sterben muss unbedingt noch etwas Poesie vorgetragen werden, wie bei uns in der Oper ein Sterbender mit seinem letzten Atem noch gerne eine Arie singt. Die Gedichtchen sind nicht denen ähnlich, die wir sonst von Ibn Dawud lesen. Die Erzähler haben ein paar beliebige, in den beiden Versionen unterschiedliche Verse eingefügt. Knaben mit beginnendem Bartwuchs wurden in der arabischen Poesie oft genug besungen, aber bei Ibn Dawud eben nicht.

Analogie. Der besuchende Freund analysiert scharf: Während Ibn Dawud dafür bekannt war, im Recht keine Analogieschlüsse anzuwenden, tat er das offensichtlich in der Poesie schon; zumindest in diesem „Zitat“. Man kann Niftawayhs Bemerkung als Kritik an Ibn Dawuds Ablehnung der Analogie (qiyās) im Recht lesen.

Der Liebestod wird merkwürdigerweise im Kitāb al-Zahra ausdrücklich empfohlen. In einem Vers „eines Zeitgenossen“, der von Ibn Dawud selbst stammen könnte, lesen wir:

  • Gib dir selbst und nicht den Reittieren die Schuld!
    Und stirb vor Gram, denn Achtsamkeit ist passend.10

Der Dichter kritisiert hier die traditionellen Liebesdichter. Diese werfen nämlich gemeinhin den Kamelen vor, dass die mit ihren Geliebten weit weggeritten sind. Aber ein Liebender, der wirklich unter der Trennung leidet, sollte nicht über verlassene Zeltlager oder abreisende Kamele jammern, sondern konsequent sein und lieber sterben, so der Dichter.

Ein Jahr Trauer: Der Vers von Labīd wird auch im Kitāb az-Zahra zitiert und besprochen.11 Hieraus wird er seinen Weg in diese Anekdote gefunden haben.

 

ANMERKUNGEN
1. Gedichte poetisch übersetzen kann ich leider nicht.
2. al-Khatīb al-Baghdādī, Ta’rīkh Baghdād, 14 Bde., Kairo 1931 v, 262

أخبرني أبو الحسن بن أيوب بن الحسين بن أيوب القمي – إملاء من حفظه – حدثنا أبو عبيد الله المرزباني وأبو عمر بن حيويه وإبو بكر بن شاذان قالوا: حدثنا أبو عبد الله إبراهيم بن محمد بن عرفة النحوي – نفطويه – قال: دخلت على محمد بن داود الإصبهاني في مرضه الذي مات فيه فقلت له: كيف تجدك؟ فقال: حب من تعلم أورثني ما ترى. فقلت: ما منعك من الاستمتاع به مع القدرة عليه؟ فقال: الاستمتاع على وجهين؛ أحدهما النظر المباح، والثاني اللذة المحظورة. فأما النظر المباح فأورثني ما ترى، وأما اللذة المحظورة، فإنه منعني منها ما حدثني به أبي حدثنا سويد بن سعيد حدثنا علي بن مسهر عن أبي يحيى القتات عن مجاهد عن ابن عباس عن النبي ص أنه قال: من عشق وكتمه وعفّ وصبر غفر الله له وأدخله الجنة. ثم أنشد لنفسه: [من البسيط]
أُنْظُرْ إلَى السِحْرِ فِي لَوَاحِظِهِ * وَانْظُرْ إلَى دَعَجٍ فِي طَرْفِهِ السَّاجِي
وَانْظُرْ إلَى الشَّعَرَاتِ فَوْقَ عًارِضِهِ * كَأَنّهُنَّ نِمالٌ دَبَّ فِي عَاجِ
وأنشد لنفسه: [من الخفيف]
مَا لَهُمْ أَنْكَرُوا سَوَادًا بِخَدَّيْــــــــهِ وَلاَ يُنْكِرُونَ وَرْدَ الغُصُونِ
إنْ يَكُنْ عَيْبُ خَدِّهِ بَدَدُ الشَـــــعْرِ ، فَعَيْبُ العُيُونِ شَعرُ الجُفُون
فقلت له: نفيت القياس في الفقه وأثبتّه في الشعر! فقال: غلبة الهوى وملكة النفوس دعوا اليه. قال: فمات في ليلته أو في اليوم الثاني.

3. Tasallub: ein Wort, das meist von Frauen gesagt wird.
4. Yāqūt ar-Rūmī al-Hamāwī, Irshād al-‘arīb ilā ma‘rifat al-adīb, hg. D.S. Margoliouth, 7 Bde., London  21923–1926, i, 308–310.

قال المرزباني […] وكان بين أبي عبد الله نفطويه وبين محمد بن داود الاصبهاني مودة أكيدة وتصافٍ تام. وكان ابن داود يهوى أبا الحسين محمد بن جامع الصيدلاني هوي أفضى به الى التلف.
[وقال] ابن عرفة نفطويه: فدخلت عليه في مرضه الذي مات فيه. فقلت: يا سيدي ما بك؟ فقال: حب من تعلم أورثني ما ترى. فقلت: ما يمنعك من الاستمتاع به مع القدرة عليه؟ فقال: الاستمتاع نوعان: محظور ومباح. أما المحظور فمعاذ الله منه، وأما المباح فهو الذي صيرني الى ما ترى. ثم قال: حدثني سويد بن سعيد الحدثاني عن أبي يحيى القتات عن مجاهد عن ابن عباس أن النبي ص قال: من حب فعف وكتم ثم مات مات شهيدًا. ثم غُشي عليه ساعة وأفاق ففتح عينيه، فقلت له: أرى قلبك قد سكن، وعرق جبينك قد انفطع، وهذا أمارة العافية. فأنشأ يقول: [من الوافر]
أَقُولُ لِصَاحِبَيَّ وَسَلَّيَانِي * وَغَرَّهُمَا سُكُونُ حِمَى جَبِينِي
تَسَلَّوْا بالّتَعَزِّي عَنْ أَخِيكُمْ * وَخُوضُوا فِي الدُّعَاءِ وَوَدِّعُونِي
فَلَمْ أَدَعِ الْأَنِينَ لِضَعْفِ سُقْمٍ * وَلَكِنِّي ضَعُفْتُ عَنِ الْأَنِينِ
ثم مات في ليلته، وذلك في سنة ٢٩٧. فيقال إن نفطويه تفجع عليه وجزع جزعًا عظيمًا، ولم يجلس للناس سنة كاملة، ثم ظهر بعد السنة وجلس. فقيل له في ذلك فقال: إن أبا بكر بن داود قال لي يوما، وقد تجارينا حفظ عهود الأصدقاء، فقال: أقل ما يجب للصديق أن يتسلب على صديقه سنة كاملة، عملاً بقول لبيد: [من الكامل]
إلَى الْحَوْلِ ثُمَّ اسْمُ السَّلاَمِ عَلَيْكُمَا * وَمَنْ يَبْكِ حَوْلاً كَامِلاً فَقَدِ اعْتَذَرْ
فحزنّا عليه سنةً كما شرط.

5. Das ist Ibn Dawud.
6. As-Safadī, Salāh ad-dīn Khalīl ibn Aibak, al-Wāfī bil-wafayāt, Das Biographische Lexikon usw. , hg. Helmut Ritter, İstanbul/Leipzig 19@@, iii, 59–60:

دخل على ابن داود ابراهيم بن (محمد) نفطويه وقي ضنى على فراشه فقال له: يا أبا بكر ما هذا مع القدرة والمحبوب مساعد؟ فقال: أنا في آخز يوم من أيام الدنيا لا أنالني الله شفاعة محمد ص إن كنت حللت سراويلي على حرلم قط. حدثني أبي العباس: قال رسرل الله ص: من عشق فكتم وعفّ وصبر ثم مات مات شهيدا وأدخله الله الجنة.

7. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, Kitāb al-Zahra (The Book of the Flower), The first half, hg. A.R. Nykl und Ibrāhīm Tūqān, Chicago 1933, i, 72 .لأن من منعه من اتيان المنكر عجزه عنه لم يُشكر
8. Ibn Dāwūd, Zahra i, 8 .من كثرت لحظاته دامت زفراته
9. Ibn Dāwūd, Zahra i, 66 .من كان ظريفًا فليكن عفيفًا
10. Ibn Dāwūd, Zahra i, 219 .فَنَفْسَكَ لُمْ وَلاَ تَلُمْ المَطَايَا * وَمُتْ أَسَفًا فَقَدْ حَقَّ الحِذَارُ
11. Ibn Dāwūd, An-nisf ath-thānī min Kitāb az-Zahra ii, hrsg. Ibrāhīm as-Samarrāʾī und Nūrī al-Qaisī, Bagdad 1975, 82, Z. 6.

Diakritische Zeichen: Abū Bakr Muḥammad ibn Dāwūd al-Iṣbahānī, Ibrāhīm ibn ʿArafa Nifṭawayh, Abū al-Ḥusain Muḥammad ibn Ǧāmiʿ aṣ-Ṣaydalānī, ḥadīth al-ʿišq, al-Ḫaṭīb al-Baġdādī, Taʾrīḫ Baġdād, al-Ḥamāwī, Iršād, Aṣ-Ṣafadī, Ṣalāh, Ḫalīl, Ṭūqān, an-niṣf aṯ-ṯānī

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Ibn Dawud: Hadith

Ibn Dāwūds Kitāb al-Zahra enthält ungefähr zehn Hadithe; darunter drei, die erwähnenswert sind.1

1. Der erste wird im Rahmen der Liebestheorie präsentiert: 

  • Abū Bakr Muhammad ibn Ishāq as-Sāghānī – Ibn Abī Maryam – Yahyā ibn Ayyūb – Yahyā ibn Sa‘īd – ‘Amra – Aischa – der Prophet: „Die Seelen sind einberufene Soldaten; diejenige, die sich ineinander wiedererkennen, suchen Gesellschaft miteinander; diejenigen, die das nicht tun, stoßen aufeinander.“ 2

2. Der berühmte Liebeshadith (hadīth al-‘ishq) lautet in der Zahra so:

  • Von meinem Vater – Suwayd ibn Sa‘īd al-Hadathānī – Alī ibn Mushir – Abū Yahyā al-Qattāt – Mudjāhid – Ibn ‘Abbās – der Prophet: „Wer leidenschaftlich liebt, keusch bleibt, es verbirgt und dann stirbt, der stirbt als Märtyrer.“ 3

Ein Märtyrer war ursprünglich jemand, der auf dem Schlachtfeld im Kampf für den Islam umkam und dafür im Jenseits extra Lohn bekam. Weil im Laufe der Zeit immer weniger Muslime an Kampfhandlungen teilnahmen, man sich aber die Privilegien der Märtyrer nicht entgehen lassen mochte, ist der Märtyrerbegriff erweitert worden. Auch Menschen, die z. B. im Ausland oder durch eine Epidemie, im Wochenbett, durch Krankheit, Armut oder Ertrinken starben, galten späterhin als Märtyrer. Der obige Hadith rechnet auch Liebeskummer zu diesen schwierigen Umständen.4 Vielleicht war der *Zāhirite Ibn Dāwūd der erste, der diesen Schmerz ernst nahm. Aber er hat den Hadith sicherlich nicht selbst erfunden, wenigstens nicht dessen Kern. Der Dichter Abū Nuwās (757–815) hatte ihn nämlich schon hundert Jahre zuvor als Witz lanciert. Seine Absicht war wohl auf das sich schnell erweiternde Märtyrerwesen anzuspielen oder es zu verspotten. Sein Hadith hat einen Fantasie-Isnad; der Text lautet: „Wer als Verliebter stirbt, erhält den Lohn des Martyriums.“ Abū Nuwās kann den Text entweder selbst erdacht oder fertig vorgefunden haben.5

3. Mit Hilfe des dritten Hadiths versuchte man die Poesie islamisch zu legitimieren. Auch Ibn Dawud zitiert ihn:

  • (mit unvollständigem Isnad:) Ibn ‘Abbās – der Prophet: „Manche Poesie besteht aus Weisheiten; manche Eloquenz ist Zauberei.“ 6

ANMERKUNGEN
1. W. Raven, Ibn Dāwūd, 13–15.
2. Ibn Dāwūd, Zahra i, 14; A.J. Wensinck, Concordance s.v. djannada; Giffen, Theory 55, Ibn Qayyim al-Djawzīya, Rauda 83. الأرواح جنود مجنَّدة فما تعارف منها ائتلف وما تناكر منها اختلف. Ibn Dāwūd kann as-Sāġānī eventuell noch selbst gekannt haben; dieser wohnte in Bagdad und starb 883, als Ibn Dāwūd 15 Jahre alt war; al-Khatīb al-Bagdādī, Ta’rīḫ Bagdād i, 240–241; Ibn Hadjar al-‘Asqalānī, Tahḏīb at-tahdhīb ix, 35–37.
3. Ibn Dāwūd, Zahra i, 66; nicht in Wensincks Concordance; Giffen, Theory 99ff..قال رسول الله ص من عشق فعفّ فكتمه فمات فهو شهيد
4. E. Kohlberg, Art. „Shahīd,“ in EI 2; W. Raven, Art. „Martyrs,“ in EQ.
5. E. Wagner, Abū Nuwās. Eine Studie zur arabischen Literatur der frühen ʿAbbāsidenzeit, Wiesbaden 1965, 34–5. (ramal)

ولـــقـــد كـُــنّــا رويـْـنــا ‪*‬ عـن سـعـيـدٍ عـن قـتـادةْ
عـن سعيـدِ بـنِ الـمســـيَّـــــبْ أنّ سعْـدَ بـنَ عُبـادةْ
قــال: مـَنْ مـات مُـحِـبـّاً *  فــلـه أَجْــر الــشــهادةْ

6. Es ist der letzte Satz des Kitāb az-Zahra, wenigstens in seiner uns überlieferten Form: Ibn Dāwūd, Zahra ii, 372: إنّ من الشعر لحكمًا وإنّ من البيان لسحرًا . Ungefähr identisch steht es in Abū Dāwūd, Sunan, Adab 87; die beiden Teile des Hadith werden oft separat zitiert.

Diakritische tekens: Muḥammad ibn Isḥāq aṣ-Ṣāġānī, Yaḥyā, ʿĀʾiša, ḥadīth, al-Ḥadaṯānī, Abū Yaḥyā, Muǧāhid, Ẓāhirite, al-Ǧawzīya, Rauḍa, al-Ḫaṭīb al-Baġdādī, Taʾrīḫ Baġdād, Ibn Ḥaǧar, Tahḏīb at-tahḏīb

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Muhammad ibn Dawud al-Isbahani

Muḥammad ibn Dāwūd al-Iṣbahānī war ein nicht sehr bekannter Intellektueller aus Bagdad, der von 868–910 lebte. Über ihn habe ich meine Dissertation geschrieben.1 Ein Meisterwerk war das nicht, aber der Stoff ist noch immer interessant. Darum habe ich vor hier die Akte manchmal wieder zu eröffnen.
Der Wikipedia ist Ibn Dawud noch entkommen und den Artikel über ihn in der Encyclopaedia of Islam brauchen Sie nicht nachschlagen. Es gibt den dort zwar, aber er ist ziemlich schlecht und auf jeden Fall veraltet.
Wie alle Intellektuellen seiner Zeit war Ibn Dawud in mehreren Geisteswissenschaften zu Hause. Er war *Rechtsgelehrter, überlieferte *Hadithe und formulierte Meinungen zur *Theologie. Interessanter war er jedoch als *Literaturwissenschaftler und Kritiker. Er schrieb eine *Anthologie der arabischen Poesie in hundert Kapiteln, das *Kitāb az-Zahra,2 was an sich schon eine kritische Tätigkeit war; darüber hinaus gab er in der Zahra kurze *Kommentare zu vielen Gedichtfragmenten; oft ein wenig naiv, aber in einer Weise, die damals neu war. *Dichter war er auch; kein großer Dichter, aber ein eigenartiger. Der Beweis ist noch nicht ganz geliefert, aber es ist wahrscheinlich, dass er seine eigenen Gedichte in seiner Anthologie versteckt hat, unter der Überschrift: „Von einem Zeitgenossen“.
Im Kitāb az-Zahra hat er auch sog. *Graeco-Arabica überliefert: Texte mit einem griechischen wissenschaftlichen und philosophischen Hintergrund, aus dem Griechischen oder Syrischen übersetzt, bearbeitet, noch mal neu geschrieben usw.. Dabei handelt es sich vor allem um populärwissenschaftliche medizinische Literatur. Auch Altphilologen können sich über solche Texte freuen: Sie bieten oft einen Einblick in die Textgestalt womöglich mangelhaft überlieferter griechischer Werke oder in die Anthologien (florilegia) aus byzantinischer Zeit. Ich habe stark den Eindruck, dass Ibn Dawud selbst nicht immer verstand, was er da abschrieb, aber er hielt es wohl für notwendig, seinem Buch einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.
Sehr interessant ist Ibn Dawuds *Liebestheorie, die er anhand der ausgewählten Liebespoesie in den ersten fünfzig Kapiteln entfaltet. Möglicherweise hat seine Theorie sogar Westeuropa beeinflusst. Dass wir uns lieben müssen, wenn wir heiraten, kommt nicht von ungefähr: Irgendjemand hat das erfunden. Das war gewiss nicht Ibn Dawud persönlich, aber die arabische Liebestheorie war sicher von Einfluss.
Interessant ist auch seine Reaktion auf die islamische Mystik (Sufismus), die seinerzeit sehr im Kommen war.
Ansonsten gibt es einige *Anekdoten über sein Leben. Die eine Hälfte handelt von seinen Kontakten mit Juristen und Mystikern; die andere über seine *Liebeskrankheit und seinen Liebestod. Tja, er soll an Liebe gestorben sein; das passierte in der damaligen Literatur öfter. Auch ein lustiges Thema.

ANMERKUNGEN
1. W. Raven, Ibn Dâwûd al–Isbahânî and his Kitâb al–Zahra, (Diss. Leiden), Amsterdam 1989. Wer mag, kann für € 10 ein Exemplar bekommen: einfach Kontakt aufnehmen.
2. – Ibn Dāwūd al-Isbahāni, Kitāb al-Zahra (The Book of the Flower), The first half, Hg. A.R. Nykl und Ibrāhīm Tūqān, Chicago 1933.
– Abū Bakr Muhammad ibn Dāwūd al-Isfahānī, Az-Zahra, Hg. und kommt. Ibrāhīm al-Sāmarrāʾī, az-Zarqāʾ 1406/1985.
– Abū Bakr Muhammad ibn Dāwūd al-Isfahānī, An-niṣf al-ṯānī min Kitāb az-Zahra, Hg. Ibrāhīm al-Sāmarrāʾī und Nūrī al-Qaysī, Baghdād 1975.
– Abū Bakr Muhammad ibn Dāwūd al-Isfahānī az-Zahirī, Kitāb az-Zahra. Parte seconda, Hg. Michele Vallaro, Napoli 1985.

„Alles“ über die Handschriften und Ausgaben hier:
W. Raven, „The manuscripts and editions of Muhammad ibn Dāwūd’s Kitāb al-Zahra,“ in Manucripts of the Middle East 4 (1989), 133–37. Des weiteren:

Diakritische Zeichen: Muḥammad ibn Dāwūd al-Iṣbahānī, Ṭūqān, aẓ-Ẓahirī

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„Platonische“ Liebe

Ibn Dāwūd al-Isbahāni (Bagdad, 868-909) kannte die „platonische Liebe,“ — aber natürlich nicht so, wie der Ausdruck heute verstanden wird. In seinem Kitāb az-Zahra hat er zwei Texte, die etwas mit Plato zu tun haben.
Im kürzesten Text nennt Ibn Dāwūd Plato als Autor:

  • Es wird erzählt, dass Plato gesagt habe: „Ich weiß nicht, was Liebe ist, aber ich weiß, dass sie ein göttlicher Wahnsinn ist, der weder zu loben noch zu tadeln ist.“ 1

Im zweiten Text nennt er den griechischen Philosophen nicht, aber wir müssen unweigerlich an dessen halbierte Menschen und ihre Sehnsucht nach ihrem ursprünglichen Gegenstück denken:2

  • Ein Philosoph behauptet, dass Gott jede Seele rund schuf, in der Gestalt einer Kugel, und sie dann in zwei Hälften auseinanderschnitt und jede Hälfte in einen Leib getan hat. [Wenn nun] ein Leib dem Leib begegnet, in dem sich die Hälfte befindet, die von der Hälfte, die er selbst bei sich hat, abgeschnitten war, so entsteht zwischen ihnen leidenschaftliche Liebe, auf Grund ihres früheren Zusammenpassens. Die Anziehungskraft ist bei Menschen stärker oder schwächer, je nach der Subtilität ihrer Natur.3

Bekannt ist die Kritik des Ibn Hazm al-Andalusī (994–1064) an der Theorie der halben Kugeln:

  • Über das Wesen der Liebe gibt es verschiedene Theorien, die von ihren Verfechtern ausführlich dargestellt worden sind. Meine eigene Auffassung ist, daß die Liebe eine Vereinigung von den in dieser Schöpfung getrennten Seelenteilen in ihrem höheren Ursprungselement ist, u.z. nicht so, daß die Seelen in Teile zerlegte Kugeln sind, die Meinung einiger Philosophen, wie sie Muhammad ibn Dawud wiedergibt, sondern in der Weise, daß die beiderseitigen bewegenden Kräfte in der Heimstatt ihrer höheren Welt gleichartig und nach ihrer Bildungsart verwandt sind.4

Aber auch das Kitāb az-Zahra selbst hat in einer der drei Handschriften einen kritischen Kommentar dazu, den Ibn Hazm offensichtlich nicht kannte. Es ist unklar, ob dieser vom Verfasser oder von einem Abschreiber stammt: 

  • Gegen ihn ist einzuwenden: Wenn wir jemanden finden, der eine andere Person leidenschaftlich liebt, und der Liebhaber stirbt dann vor Liebe, aber die andere Person stirbt vor Hass dem Liebhaber gegenüber, wie war seine Hälfte dann abgeschnitten?
    Und wenn wir einen Mann finden, der zwanzig Menschen liebt, wie viele Hälften hat seine Seele dann? 5

 

ANMERKUNGEN
1. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, Kitāb al-Zahra (The Book of the Flower), The first half, hg. A.R. Nykl und Ibrāhīm Tūqān, Chicago 1933, S. 15.

وحكي عن افلاطرن أنه قال: ما أدري ما الهوى غير أني أعلم أنه جنون الاهي لا محمود ولا مذموم.

Dieser Satz kommt so bei Plato nicht vor, aber der Inhalt geht zurück auf dessen Phaedrus 244a-245b.
2. Plato, Symposion 189d–193d.
3. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, o.c., S. 15.

وزعم بعض المتفلسفين أن الله جل ثناؤه خلق كل روح مدوّرة على هيئة الكرة، ثم قطعها أنصافًا، فجعل في كل جسد نصفًا وكل جسد لقي الجسد الذي فيه النصف الذي قطع من النصف الذي معه كان بينهما عشق للمناسبة القديمة وتتفاوت أحوال الناس في ذلك بين القوة والضعف على حسب رقة طبائعهم.

4. Ibn Hazm, Von der Liebe und den Liebenden, übers. Max Weisweiler, Leiden 1941, S. 19. Im Original: Abû-Muhammed-Alî-Ibn-Hazm al-Andalusî, Tauk-al-Hamâma, hrsg. D.K. Pétrof, St. Petersburg/Leiden 1914, S. 7:

وقد اختلف الناس في مائيته وقالوا وأطالوا والذي أذهب اليه انّه اتّصال بين أجزاء النفوس المقسومة في هذه الخليقة في أصل عنصرها الرفيع، لا على ما حكاه محمد بن داود رحمه الله عن بعض أهل الفلسفة: الأرواح أُكَر مقسومة لكن على سبيل مناسبة قواها في مقرّ عالمها العلوى ومجاورتها في هيئة تركيبها.

Ibn Hazm, Von der Liebe und den Liebenden, übers. Max Weisweiler, Leiden 1941, S. 19.
5. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, Kitāb az-Zahra i, Ms. Torino, Bibl. Reale Nr. 68, fol. 11 a/b.

يقال له فهو [إ]ذا [كنا] نجد واحدًا يعشق واحدًا فيموت العاشق من حبّه وذلك الآخر يموت من بغض من يعشقه، فأنّى قَصّة هذا النصف؟ ونجد الرجل أيضًا يعشق عشرين فكم نصف لروح هذا؟

Diakritische Zeichen: Ibn Dāwūd al-Iṣbahāni, Ṭūqān, Ibn Ḥazm al-Andalusī, Ṭauḳ (Ṭauq) al-Ḥamâma

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Sindbad der Seefahrer

Sindbad der Seefahrer ist ein meiner Favoriten aus Tausend und eine Nacht.
Sieben Mal schifft sich Sindbad (Sindibād) im Irak ein gen Osten. Sieben Mal erleidet er Schiffbrüche, unbekannte Seen, gefährliche Tieren und Monster, und die bizarren oder grausamen Gewohnheiten irgendwelcher Eingeborene. Und alle sieben Male ist er beherzter als seine Reisegefährten und weiß er sich wieder zu retten—sei es natürlich mit göttlichem Beistand. Nach sieben Reisen hat er es satt und lebt er noch lange und glücklich mit der Gattin und mit dem enormen Reichtum, den er so ganz nebenbei erworben hat—und mit einem guten Freund.
Sindbad ist ein Vorläufer der späteren europäischen Seefahrer. Er zieht ostwärts im Rahmen der Indienfahrt, die seit dem neunten Jahrhundert aus Basra und Sīrāf betrieben wurde. Indien, Indonesien und China wurden regelmäßig durch Schiffe aus dem Abbasidenreich angelaufen, die voll geladen mit Spezerei, Edelsteinen und allerlei anderen exotischen Sachen zurückkehrten. Die Schiffskapitäne bildeten, wenigstens in diesen Erzählungen, eine Art informelle Ostindische Kompagnie, in der es idyllisch zugeht. Wo auch immer Sindbad an Land geschwemmt wird oder festläuft, immer kommt ein arabisches Schiff mit einer hilfsbereiten Bemannung vorbei. Manchmal liegt an Bord noch Ware von ihm. Sobald er nachgewiesen hat, dass die ihm gehört, werden ihm die sorgfältig aufbewahrten Güter zurückgegeben und er bekommt eine freie Fahrt nach Hause.
Zu den Schätzen, die die Indienfahrt einbrachte, gehörten auch Erzählungen. Der „geheimnisvolle Orient“ ist nicht von europäischen Orientalisten erfunden worden; sie existierte seit Jahrhunderten im arabischsprachigen Raum und wurde von einem Publikum gefront, das sich durch fantasievolle Reiseberichte und -erzählungen sowohl unterrichten wie auch amüsieren ließ. Erzählungen wie die von Sindbad, über Abenteuer und über die „Wunder Indiens“, haben die Araber Jahrhunderte lang fasziniert. Im Grunde sind sie nicht so anders als das, was europäische Reiseschriftsteller einige Jahrhunderte später über ihre erschröcklichen Abenteuer zu melden hatten.
Vertraut wirken Sindbads Beweggründe für seine Reisen. Die erste Reise unternimmt er, weil er fast bankrott ist; später, wenn er sein Vermögen längst gesichert hat, fährt er aus Verlangen „Handel zu treiben, Geld zu verdienen und Gewinn zu haben,“ aber auch „um mir die fremden Länder anzusehen, auf dem Meer zu fahren, mich den Kaufleuten anzuschließen und Berichte über neue Dinge zu genießen.“ Er ist zu unruhig um zu Hause zu bleiben; sein Reichtum langweilt ihn. Einmal führt er sogar an, dass er verreist, weil er sich danach sehnt nach Heimkehr seine „Freunde und Gefährten wiederzusehen und in der Heimat zu sein.“ Ein fast moderner Mensch.
Verwerflich findet er diese Sehnsucht schon. Als unmittelbarer Triebfeder zu seinen Reisen nennt er mehr als einmal „die Seele, die zum Bösen treibt,“ ein Begriff aus dem Koran (12:53). Es ist die Sünde, die ihn antreibt, und das Meer, auf das er sich begibt, ist das Chaos, der Aufenthaltsort des Bösen. Noch negativer wird sein Kurzausflug ins Weltall bewertet. Sindbad steigt nicht hinauf zu Gott, und das islamische Paradies strebt er auch nicht nach. Er zappelt und schaukelt nur herum bis er letztendlich in sich selbst Ruhe findet.
Sind Supergewinne auch tadelnswert? Bei diesen frühen Indienfahrten gab es theoretisch Gleichwertigkeit der Handelspartner und war von Ausbeutung nicht die Rede. Aber diese dummen Leutchen im Osten, so vermitteln uns die Erzählungen, wissen meist nicht einmal auf welchen Kostbarkeiten sie sitzen, und Sindbad behandelt sie oft grausam. Über seine Einkünfte bleibt er ziemlich vage, was vielleicht auf Schuldgefühl hindeutet. Ein Floß, das er einmal baut um sich zu retten, ist bei näherer Betrachtung aus wertvollem Sandelholz; auch Diamanten und andere Kostbarkeiten fallen ihm einfach zu. Wenn man ihm glauben soll, ist er nur durch Gottes Gnade reich geworden; selbst kann er nichts dafür. Verdient hat er es aber trotzdem, wie er meint: Wenn man so viel Elend durchgestanden hat ist es nur gerecht, dass man etwas daran verdient.
Zum Glück gilt das auch für die andere Person in diesem Erzählzyklus: Sindbad der Festländer, ein Lastträger, der viel Elend erlebt—und zwar, anders als sein Namensvetter, ohne seine Schuld. Die sieben Erzählungen des Seefahrers sind in einer Rahmenerzählung gefasst, die mit der Szene des armen Lastträgers anfängt, der leicht verbittert aber sich letztendlich in den Standesunterschied fügend, sich vor dem prachtvollen Haus des Seefahrers kurz verschnauft. Dieser lädt ihn zu sich ein, gebraucht ihn als Publikum für seine Erzählungen und lässt ihn an seinem Wohlstand teilhaben, indem er ihn bewirtet, ihm große Zuwendungen gibt und sein Freund wird. So befreit der Reiche sich von etwas Gold und Schuldgefühl—und hier steckt offensichtlich die Moral. Reichtum ist gut, aber er soll geteilt werden. Durch den Seefahrer erlöst der gütige Gott auch den Festländer aus seinem Elend.
Es läuft eine Linie von den Sindbad-Erzählungen zu modernen Gewalt- und Horrorfilmen. Die Höhle voller Knochen und verwesenden Leichen, in die Sindbad nach dem Tod seiner indischen Frau geworfen wird und in der er sich mit dem Proviant der neu eintreffenden Witwen und Witwern am Leben hält, die er mit einem Knochen erschlägt, wäre auf dem Leinwand nicht weniger überzeugend als die Episode mit dem Zyklopen.

[Auch veröffentlicht in zenith, September/Oktober 2012]

QUELLE
– Alf laila wa-laila, Bulāq 1251/1835, Bd. II, 1–37 (Nacht 536–566).
– Die Erzählungen aus den Tausendundein Nächten. Zum ersten Mal nach dem arabischen Urtext der Calcuttaer Ausgabe vom Jahre 1839 übertragen von Enno Littmann, 6 Bde., Leipzig (Insel) 1921–8. (Diese Übersetzung ist des Öfteren als Inseltaschenbuch 224 im Angebot. Sie ist gut, aber zu Grunde liegt eine etwas andere Ausgabe als die gerade erwähnte. Der Sindbad-Zyklus steht hier in Band iv, S. 97–215.)
– Von anderen Übersetzungen rate ich ab. Die Tausenundeine Nacht ist oft sehr schlechten Übersetzern und Bearbeitern zum Opfer gefallen. Zu ihnen gehört übrigens nicht Claudia Ott, die eine sehr gute Übersetzung veröffentlicht hat; diese enthält aber nicht den Sindbad-Zyklus. Wer auf einer Insel in Hinterindien wohnt oder aus anderen Gründen Littmann nicht zur Hand hat, kann sich im Internet bei der berühmten englischen Übersetzung von Richard Burton bedienen. Band 6, S. 1–82. Lädt langsam.

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