Ibn Dāwūd al-Isbahāni (Bagdad, 868-909) kannte die „platonische Liebe,“ — aber natürlich nicht so, wie der Ausdruck heute verstanden wird. In seinem Kitāb az-Zahra hat er zwei Texte, die etwas mit Plato zu tun haben.
Im kürzesten Text nennt Ibn Dāwūd Plato als Autor:
- Es wird erzählt, dass Plato gesagt habe: „Ich weiß nicht, was Liebe ist, aber ich weiß, dass sie ein göttlicher Wahnsinn ist, der weder zu loben noch zu tadeln ist.“ 1
Im zweiten Text nennt er den griechischen Philosophen nicht, aber wir müssen unweigerlich an dessen halbierte Menschen und ihre Sehnsucht nach ihrem ursprünglichen Gegenstück denken:2
- Ein Philosoph behauptet, dass Gott jede Seele rund schuf, in der Gestalt einer Kugel, und sie dann in zwei Hälften auseinanderschnitt und jede Hälfte in einen Leib getan hat. [Wenn nun] ein Leib dem Leib begegnet, in dem sich die Hälfte befindet, die von der Hälfte, die er selbst bei sich hat, abgeschnitten war, so entsteht zwischen ihnen leidenschaftliche Liebe, auf Grund ihres früheren Zusammenpassens. Die Anziehungskraft ist bei Menschen stärker oder schwächer, je nach der Subtilität ihrer Natur.3
Bekannt ist die Kritik des Ibn Hazm al-Andalusī (994–1064) an der Theorie der halben Kugeln:
- Über das Wesen der Liebe gibt es verschiedene Theorien, die von ihren Verfechtern ausführlich dargestellt worden sind. Meine eigene Auffassung ist, daß die Liebe eine Vereinigung von den in dieser Schöpfung getrennten Seelenteilen in ihrem höheren Ursprungselement ist, u.z. nicht so, daß die Seelen in Teile zerlegte Kugeln sind, die Meinung einiger Philosophen, wie sie Muhammad ibn Dawud wiedergibt, sondern in der Weise, daß die beiderseitigen bewegenden Kräfte in der Heimstatt ihrer höheren Welt gleichartig und nach ihrer Bildungsart verwandt sind.4
Aber auch das Kitāb az-Zahra selbst hat in einer der drei Handschriften einen kritischen Kommentar dazu, den Ibn Hazm offensichtlich nicht kannte. Es ist unklar, ob dieser vom Verfasser oder von einem Abschreiber stammt:
- Gegen ihn ist einzuwenden: Wenn wir jemanden finden, der eine andere Person leidenschaftlich liebt, und der Liebhaber stirbt dann vor Liebe, aber die andere Person stirbt vor Hass dem Liebhaber gegenüber, wie war seine Hälfte dann abgeschnitten?
Und wenn wir einen Mann finden, der zwanzig Menschen liebt, wie viele Hälften hat seine Seele dann? 5
ANMERKUNGEN
1. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, Kitāb al-Zahra (The Book of the Flower), The first half, hg. A.R. Nykl und Ibrāhīm Tūqān, Chicago 1933, S. 15.
وحكي عن افلاطرن أنه قال: ما أدري ما الهوى غير أني أعلم أنه جنون الاهي لا محمود ولا مذموم.
Dieser Satz kommt so bei Plato nicht vor, aber der Inhalt geht zurück auf dessen Phaedrus 244a-245b.
2. Plato, Symposion 189d–193d.
3. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, o.c., S. 15.
وزعم بعض المتفلسفين أن الله جل ثناؤه خلق كل روح مدوّرة على هيئة الكرة، ثم قطعها أنصافًا، فجعل في كل جسد نصفًا وكل جسد لقي الجسد الذي فيه النصف الذي قطع من النصف الذي معه كان بينهما عشق للمناسبة القديمة وتتفاوت أحوال الناس في ذلك بين القوة والضعف على حسب رقة طبائعهم.
4. Ibn Hazm, Von der Liebe und den Liebenden, übers. Max Weisweiler, Leiden 1941, S. 19. Im Original: Abû-Muhammed-Alî-Ibn-Hazm al-Andalusî, Tauk-al-Hamâma, hrsg. D.K. Pétrof, St. Petersburg/Leiden 1914, S. 7:
وقد اختلف الناس في مائيته وقالوا وأطالوا والذي أذهب اليه انّه اتّصال بين أجزاء النفوس المقسومة في هذه الخليقة في أصل عنصرها الرفيع، لا على ما حكاه محمد بن داود رحمه الله عن بعض أهل الفلسفة: الأرواح أُكَر مقسومة لكن على سبيل مناسبة قواها في مقرّ عالمها العلوى ومجاورتها في هيئة تركيبها.
Ibn Hazm, Von der Liebe und den Liebenden, übers. Max Weisweiler, Leiden 1941, S. 19.
5. Ibn Dāwūd al-Isbahāni, Kitāb az-Zahra i, Ms. Torino, Bibl. Reale Nr. 68, fol. 11 a/b.
يقال له فهو [إ]ذا [كنا] نجد واحدًا يعشق واحدًا فيموت العاشق من حبّه وذلك الآخر يموت من بغض من يعشقه، فأنّى قَصّة هذا النصف؟ ونجد الرجل أيضًا يعشق عشرين فكم نصف لروح هذا؟
Diakritische Zeichen: Ibn Dāwūd al-Iṣbahāni, Ṭūqān, Ibn Ḥazm al-Andalusī, Ṭauḳ (Ṭauq) al-Ḥamâma
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