Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten – 2a

Weibliche Männer: die Effeminierten im alten Medina
Ein mukhannath, Plural mukhannathūn, war körperlich ein Mann, aber neigte zu weiblichem Verhalten. Aus natürlicher Neigung, manchmal aber auch aus Affektiertheit, weil die zum Beispiel zu einem Beruf passte. Das Wort kann mit „effeminiert“, oder „geschlechtslos“ übersetzt werden. Heutzutage wird es auch von einem Mann gesagt, der sich anal penetrieren lässt, aber das war bei dieser Gruppe im ersten Jahrhundert des Islams nicht unbedingt der Fall, wie ein Artikel von Everett → Rowson belegt.

Es ist klar, dass mukhannathūn im siebten Jahrhundert im Musikleben von Medina eine wichtige Rolle spielten. Sie waren professionelle männliche Musiker, die in Frauenkleidern auftraten und wegen ihrer Musik, aber auch wegen ihres Witzes und Charmes geschätzt wurden. Vielleicht waren sie die Nachfolger der Sklavinnen, die in vorislamischer Zeit gesungen und getanzt hatten, aber unter islamischen Bedingungen nicht länger erwünscht waren. Ihre Künstlernamen klingen meist feminin. Es ist auch bekannt, dass es ihnen erlaubt war, Frauen unverschleiert zu sehen und in den für Männer verschlossenen Frauenquartieren ein und auszugehen.

Rowson befasst sich zunächst mit den Hadith-Texten, in denen mukhannathūn  erwähnt werden, die mit dem Propheten in Kontakt kamen. Offenbar betrachtet er diese Texte als Quelle für das gesellschaftliche Leben im siebten Jahrhundert. Ich selbst tendiere eher dazu, sie zwischen 700 und 900 zu datieren, in der Annahme, dass sie Rechtsauffassungen dieser etwas späteren Zeit widerspiegeln. Wie auch immer, sie enthalten interessantes Material und ich werde sie gerne mal separat behandeln, aber das kann noch dauern.

In seinem Artikel findet sich jedoch genug aus historischen Quellen zu den mukhannathūn, die in den frühesten Zeiten vor allem in Medina blühten, bis Kalif Sulaimān (reg. 715-17) ihre Aktivitäten verbot. Eine Hauptquelle ist das →Kitāb al-aghānī von Abū al-Faradj al-Iṣfahānī, aus dem zehnten Jahrhundert, das viel Material zu Sängern und Dichtern der alten Zeit bietet; unter ihnen auch mukhannathūn, die ausführlich behandelt werden, insbesondere Dalāl und Ṭuwais. Letzterer lebte von 632-711 und war auch als Pechvogel bekannt. Er sang Kunstmusik und verfasste Gedichte in der leichteren Metra hazadj und ramal, leichte Lieder, bei denen er sich selbst auf einem duff, einer Art Tamburin, begleitete. Er war witzig und charmant und hatte eine scharfe Zunge. Er bildete auch jüngere Musiker aus. Ṭuwais wurde oft zu Partys der jungen Leute in Medina eingeladen, während die Älteren ihn und seinesgleichen eher verachteten.1

Es gibt eine Geschichte über eine Gruppe junger Männer, die bei einem Ausflug außerhalb der Stadt in ein Unwetter gerieten und beschlossen, bei Ṭuwais Unterschlupf zu suchen, der dort mit seiner Familie lebte. Einige der Teilnehmer, z.B. ‘Abdallāh ibn Ḥassān ibn Thābit, hatten Vorbehalte: Er stehe unter dem Zorn Gottes, er sei ein verachtenswerter mukhannath, mit dem man nicht verkehren sollte. Aber andere sagten: „Sag das nicht, er ist ein witziger, charmanter Mensch, der uns gute Gesellschaft leisten wird.“2 Als Ṭuwais hörte, was sie redeten, befahl er seiner Frau, eine Ziege zuzubereiten und bot ihnen ein köstliches Mahl an. Anschließend unterhielt er sie mit Gesang und Tanz. Als sie ein bestimmtes Lied lobten, sagte er: „Das ist ein Liebeslied, das die Schwester von Ḥassān ibn Thābit auf jemanden vom Stamm der Makhzūm gemacht hat.“ Diese Indiskretion war seine Rache an ‘Abdallāh ibn Ḥassān ibn Thābit, den er dadurch zutiefst beleidigte.

Eine atmosphärische Geschichte, die unmöglich historisch sein kann, erzählt über einen gewissen Djamīla, einen bekannten mukhannath-Sänger aus Medina, der mit einer ganzen Truppe von Dichtern und Musikern beiderlei Geschlechts nach Mekka pilgerte und dort von Kollegen empfangen wurde, unter ihnen der berühmte Dichter ‘Umar ibn abī Rabī‘a. Als Djamīla gebeten wurde, in Mekka ein Konzert zu organisieren, antwortete er, dass er nicht bereit sei, Ernst mit Frivolem zu vermischen. Die ganze Gesellschaft zog dann nach Medina, wo in seinem Haus ein dreitägiges Musikfestival stattfand. Der zweite Tag war ganz der Darbietung der acht namentlich genannten mukhannathūn gewidmet, die als Gruppe getrennt blieben.3 Ihr Auftritt wurde sehr geschätzt.4

Dalāl soll schön und charmant gewesen sein, aber sein Humor war derb und fast blasphemisch. So soll er beispielsweise während des Gebets gefurzt und dabei gesagt haben: „Ich lobe Dich von vorne und von hinten.“5 Und als ein Imam rezitierte: „Und warum sollte ich nicht Demjenigen dienen, Der mich erschaffen hat?“ (Koran 36:22) rief Dalāl aus: „Keine Ahnung!“ Das brachte die Leute so zum Lachen, dass es ihre Gebete ungültig machte.6 Dalāl war auch als Liebesbote und Heiratsvermittler bekannt.

Zwei mekkanische mukhannathūn, Ibn Suraidj und al-Gharīd, hatten ihre Laufbahn als Totenklager begonnen, eine Rolle, die traditionell von Frauen ausgeübt wurde. Ihre „leichten“ Lieder begleiteten sie mit der Laute, nicht mit dem Tamburin wie in Medina.7

Nur bei zwei frühen mukhannathūn konnte festgestellt werden, dass sie sexuell an anderen Männern interessiert waren: Dalāl und al-Gharīd. Einige waren verheiratet, andere hatten einfach kein Interesse an Frauen. Sofern sie „ohne Geschlechtstrieb“ (ghair ūlī al-irba, Koran 24:31) waren, durften sie Frauen unverhüllt sehen. Sie hatten also Zugang zu den Frauengemächern, überbrachten Nachrichten und fungierten manchmal als Kuppler. Und das war der Grund, warum Kalif Sulaimān ihre Tätigkeiten verbot und sie einem Bericht zufolge sogar kastrieren ließ. Nicht weil sie unerlaubten Sex hatten, dekadent waren oder sich „widernatürlich“ verhielten, sondern weil sie bei den Frauen ein- und ausgingen, mit Musik und unverschämtem Verhalten Unmoral in ihnen erweckten und zu viel ausplauderten..

Gehört zu: Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten –1: Die Mädchen-Jungs des 8. Jahrhunderts. Die bache posh in Afghanistan
Geschlechter und Neigungen – 2a: Die Effeminierten im alten Medina
Geschlechter und Neigungen – 2b: Die Effeminierten im Hadith des Propheten
Geschlechter und Neigungen – 2c: Die khanīth, weibliche Männer in Oman
Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten – 3

ANMERKUNGEN
1. Aghānī ii:165 (die­ ältere Ausgabe@)
2. Aghānī ii:167
3. Die einzigen Namen, unter denen sie bekannt sind, sind weiblich anmutende Künstlernamen: Hīt, Ṭuwaiys („kleine Pfau“), ad-Dalāl („Koketterie“), Bard al-Fu’ād („Herzenskühle“), Naumat al-Ḍuḥā („Morgenschläfchen“), Qand („Zuckerl“), Raḥma („Barmherzigkeit“) und Hibat Allāh („Geschenk Gottes“).
4. Aghānī vii:118ff.; 128–33
5. Aghanī iv:59, 62, 64
6. Aghanī iv:281. (Neu)
7. Aghanī i: 95–97

BIBLIOGRAFIE
– Abū al-Faradj al-Iṣfahānī, Kitāb al-aghānī, 24 Bde., Kairo 1927–74.
– Everett K. Rowson, „The effeminates of early Medina,“ JAOS 1991, 671–93.
– H.G. Farmer/E. Neubauer, „Ṭuways,“ in EI2.
– A. Schaade/Ch. Pellat, „Djamīla,“‘ in EI2.

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Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten –3

Orientierungen
Den Sammelbegriff „Homosexualität“, der für alle Formen von Sexualleben zwischen Personen desselben Geschlechts verwendet wird, gab es in der arabischen Welt nicht. Existiert er jetzt? In Wörterbüchern Europäisch-Arabisch wird er oft mit liwāṭ übersetzt, aber das ist etwas anderes. Offenbar muss es heutzutage mithlīya djinsīya heissen, aber das ist ein merkwürdiger Modernismus; wie viele Menschen verstehen was damit gemeint ist? Viel häufiger hört man den stark abwertenden Terminus shudhūdh oder shudhūdh djinsī, „Perversion,“ der seit ca. 1940 gängig ist.

Ein lūṭī ist ein Mann, der einen Jungen oder einen anderen Mann anal penetriert. Das kann er aus Lust tun oder um den anderen zu erniedrigen, zu bestrafen oder um ihm seine Dominanz zu zeigen—oder aus mehrfachen Impulsen. Die anale Penetration heißt liwāṭ.
Ein ma’būn ist ein Junge oder Mann, der sich anal penetrieren lässt, aus Lust, aus Kalkül, unter Zwang oder aus mehrfachen Impulsen. Das Verlangen penetriert zu werden heißt ubna. Liwāṭ ist eine Handlung, die man verrichten kann oder nicht; ubna ist ein Verlangen, das einem Menschen innewohnen kann und das man ausleben kann oder nicht. Die Handlung war dem islamischen Recht zufolge (sharī‘a) eine Straftat, die aber in der Praxis selten bestraft wurde. Das Verlangen zu haben war keine Straftat, aber Menschen, die ubna hatten, wurden schon oft verachtet, wenn sie ihre Neigung auslebten.
Inzwischen wird allmählich klar sein, warum der Begriff Homosexualität im Arabischen nicht vorkam. Während im Westen—oder wenigstens in der dominanten protestantischen Welt—die Orientierung auf dasselbe Geschlecht bestimmend war, waren im Nahen Osten die Penetration und das Aktiv- oder Passivsein das Wichtige, während Kosen und Schmusen, Knutschen, Herumtollen und andere Verrichtungen, die im Westen „sexuelle Handlungen“ genannt werden, außer Betracht blieben: Die sind ja weder liwāṭ noch ubna und kaum erwähnenswert. Was man nicht benennt, kann auch nicht tadelnswert sein.
Im heutigen Nahen Osten wird oft heftig gegen Homosexualität gewettert. Das ist ein Erbe westlicher ethischer und juristischer Auffassungen, aber auch eine Abneigung gegen das Importprodukt Homosexualität, das ja ein alles explizit machender Lifestyle aus dem Westen ist. Darum gab → el-Rouayheb seinem Buch den Titel: Before homosexuality, will sagen: vor deren Import. Dieselbe Leute, die dagegen wettern, können falls erwünscht ihre traditionellen Verhaltensweisen einfach fortsetzen—was ihnen dann aus dem Westen den Vorwurf der Heuchelei einbringt. Ich hab allerdings den Eindruck—mehr ist es nicht—, dass heutzutage unter arabischen jungen Männern doch weniger geknutscht und Händchen gehalten wird als während meines Studienjahrs in Kairo (1971–72). Wenn das stimmt, ist auch das eine Folge westlicher Einflüsse—die Aufklärung, Sie wissen schon, und das amerikanische Macho-Ideal: Wettbewerb und Kämpfen sind Pflicht, schmusen darf nicht sein. Schade für die Jungs, denn sie haben ohnehin so wenig. Mit Mädchen dürfen sie ja noch immer nichts.
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Im alten Nahen Osten gab es von alters her viel Pädophilie. Wo bei uns nur eine Minderheit der Männer daran interessiert ist, war man drüben fast einstimmig der Meinung, dass junge Jungen, kurz vor oder bereits in der Pubertät, sehr sexy sind und oft noch verführerischer als junge Frauen. Es gibt Unmengen von Gedichten, die die Schönheit eines solchen Jungen feiern, noch ohne Bartwuchs oder mit dem ersten Flaumhaar auf den Backen. Es gibt auch jede Menge Berichte und Selbstzeugnisse von durchaus ehrwürdigen Männern, die den Umgang mit solchen Jungen suchten und leidenschaftlich in sie verliebt waren. Sie zu penetrieren wurde entschieden abgelehnt, sowohl ethisch wie auch juristisch, aber sie voller Bewunderung anzuschauen, sie in Gedichten zu beschreiben und mit ihnen zu flirten war nach Auffassung der meisten Juristen erlaubt und das taten tatsächlich viele Männer. Natürlich gab es eine Grauzone und gesündigt wurde sicherlich auch, aber im Prinzip blieb diese Pädophilie keusch. Das erinnert an die Liebe für den Wein, die viele Dichter empfinden— unter ihnen z.B. Khomeini, der Führer der islamischen Revolution in Iran. Sie schrieben Bände voller Verse über Wein, Rausch und Betrunkenheit ohne in Wirklichkeit je einen Tropfen zu trinken.

In Afghanistan heißt Päderastie bacha bāzī. Erwachsene Männer, z.B. Milizenführer, nehmen sich noch immer junge Lustknaben, die sie auch als Prostituierte oder Tanzjungen einsetzen—wo man sonst lieber Tanzmädchen hätte. Eine jahrhundertealte Gewohnheit, die schwer auszurotten ist. Unter den Taliban stand darauf die Todesstrafe; aber was ist, wenn die Führungskräfte selbst mitmachen? Auch hierbei ist es sehr wahrscheinlich, dass das Phänomen durch die Modernisierung der Gesellschaft verschwinden wird. Früher kam es in ganz Mittelasien vor, aber im neunzehnten Jahrhundert würde es in den russisch besetzten Ländern bereits verboten und verschwand.
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Konnten erwachsene Männer einander auch lieben? Aber natürlich; man pflegte warme, innige Kontakte mit männlichen Freunden; auch weil ein Mann mit seiner Ehefrau nicht befreundet sein und bei ihr seine Emotionen nicht loswerden konnte. Hatten sie auch Sex miteinander? Meistens nicht, nehme ich mal an, aber wenn doch, wird es auch kein Problem gewesen sein.

Jetzt müsste ich natürlich etwas über lesbische Liebe in der alten Zeit schreiben, aber darüber weiß ich nichts und es gibt ganz wenig Literatur; deshalb schweige ich lieber noch. Demnächst erscheint eine Studie zu diesem Thema; mal abwarten, was die zu bieten hat.

Gehört zu: Geschlechter und Neigungen –1: Die Mädchen-Jungs des 8. Jahrhunderts. Die bache posh in Afghanistan
Geschlechter und Neigungen – 2a: Die Effeminierten im alten Medina
Geschlechter und Neigungen – 2b: Die Effeminierten im Hadith des Propheten
Geschlechter und Neigungen – 2c: Die khanīth, weibliche Männer in Oman
Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten – 3

BIBLIOGRAFIE
– G.H.A. Juynboll, ‘Siḥāḳ,’ in EI2. (Zur lesbischen Liebe).
– Khaled el-Rouayheb, Before Homosexuality in the Arab-Islamic World, Chicago 2005.
– Ewald Wagner, Abū Nuwās. Eine Studie zur arabischen Literatur der frühen ‘Abbāsidenzeit, Wiesbaden 1965.

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Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten – 2c

Weibliche Männer
Die khanīth in Oman waren (oder gibt es sie noch?) körperlich Mann, aber sie nannten sich Frau. Sie kamen als normale Jungen zur Welt. Khanīth wurden sie mit zwölf oder dreizehn, als sie, aus welchem Grund auch immer, als Prostituierte aktiv wurden. Sie verhielten sich wie Frauen, trugen zwar Männertuniken, aber in weiblichen Pastellfarben, sie schminkten und parfümierten sich, sie sprachen mit hoher Stimme und bewegten sich frei in den Gemächern der Frauen, die sie unverschleiert sehen durften. Bei Hochzeiten saßen sie bei den Frauen, mit denen sie auch aßen. Wenn musiziert wurde, sangen sie mit den Frauen mit, während die Männer Instrumente spielten. Sie konnten auch als Hausangestellte Arbeiten übernehmen, die früher die Sklaven verrichteten.1
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All dies hat Unni → Wikan 1974–1976 im Rahmen ihrer Forschung im omanischen Städtchen Ṣuḥār entdeckt, als das Land noch ziemlich vormodern war. Sie befand, dass 2% der Männer khanīth waren oder gewesen waren.
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Homosexuelle Prostitution und effeminiertes Verhalten fand man in Oman gewiss verächtlich, aber man hatte darüber nicht ein so total vernichtendes und endgültiges Urteil wie in manchen westlichen Ländern. Wenn sich herausstellte, dass ein Junge sich prostituierte und dabei voraussichtlich bleiben wollte, nahm man es hin und richtete ein kleines Privatbordell für ihn ein. Seine Dienstleistungen fand man nützlich, denn weibliche Prostituierte durften nicht existieren. Männer hielten Frauen in Ehren und hätten ungerne gesehen, dass diese reinen Wesen sich mit solchen Schweinereien befassten. Sie durften sogar nicht einmal gedanklich damit in Verbindung gebracht werden; deshalb waren die khanīth zwar effeminiert und parfümiert und wackelten sie mit dem Hintern, aber sich gänzlich als Frauen kleiden durften sie nicht. Die Burka war ihnen nicht erlaubt; ihr Haar war halblang, während die Frauen es lang und die Männer es kurz trugen. Der khanīth war mehr als nur ein Prostituierter, er galt als Zwischengeschlecht, das eine eigene, feste Stellung in der Gesellschaft hatte.
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Interessant an der Situation im damaligen Oman finde ich, dass jemand, nachdem er jahrelang khanīth gewesen war, wieder Mann werden konnte—und noch schöner: später noch mal khanīth und dann wieder Mann. Das Geschlecht hängt ab von den sexuellen Handlungen, die man verrichtet, nicht von dem, was man zwischen den Beinen hat. Wenn jemand eine Erektion bekommt, penetrieren kann und das auch wirklich tut, dann ist er ein Mann und kann auch verheiratet sein, selbst wenn er bestimmte weibliche Verhaltensweisen beibehält. Vielleicht findet seine Frau das gar nicht schlimm; vielleicht war ihr Mann früher ihre beste Freundin. Seine Männlichkeit soll der khanīth, wie jeder Mann, in der Hochzeitsnacht beweisen, wenn er durch ein blutiges Tuch die erfolgreiche Entjungferung seiner Braut nachweisen muss. Ein khanīth wird von selbst wieder Mann, wenn er alt wird, weil er dann als Prostituierter nicht länger attraktiv ist—wenn er sich auch zwischen den anderen alten Herren vielleicht nicht ganz zu Hause fühlen wird.
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In der westlichen Welt passiert es manchmal, dass verheiratete Männer und Väter sich zu Homosexuellen entwickeln. Man nimmt dann gemeinhin an, dass solche Männer „eigentlich“ schon immer homosexuell waren und sich nur nicht früher zum coming out durchgerungen haben wegen Mangel an Aufklärung, fehlender Toleranz oder Sozialangst. Aber dass ein Homosexueller (wieder) Hetero wird, davon hört man nie. Die Omanis waren (oder sind?) offensichtlich erheblich flexibler als die Westeuropäer, die sich meist in einem Seinszustand versteifen. Die Fähigkeit mancher Omanis ohne viel Aufhebens in die eine oder die andere Richtung zu wechseln strafen die westliche Auffassung Lügen, dass die sexuelle Identität ein für allemal festliege, und auch die, dass beim Umschalten teure Hormonbehandlungen oder Operationen notwendig seien.

Ein männlicher Mann ohne Lust auf Frauen?
In der berühmten Erzählung, der zufolge Aischa, die Frau des Propheten, während einer Wüstenreise kurz ihre Sänfte verlässt und die Karawane weiterzieht, ohne zu bemerken, dass sie nicht darin sitzt, wird sie von einem Mann namens Ṣafwān Ibn al-Mu‘aṭṭal in der Wüste gefunden und nach Hause gebracht. Sofort entsteht übles Gerede: Hat dieser Mann sie berührt? Die Erzählung bei Ibn Isḥāq will Aischas Unschuld beweisen und in dieser Absicht wird ihr u.a. in den Mund gelegt: „Es wurden Fragen gestellt zu Ibn al-Mu‘attal und man befand, dass er kein Verlangen nach Frauen hatte (fa-wadjadūhu radjulan ḥaṣūran) und nicht zu ihnen ging. Später wurde er als Märtyrer getötet.“2 Dies wird natürlich vor allem mitgeteilt um einmal mehr zu beweisen, dass Aischa unberührt geblieben war. Interessant ist die Mitteilung, dass er auf dem Schlachtfeld den Tod fand. Er wurde also ausdrücklich als männlicher Mann angesehen, da er kämpfte, aber hatte einfach keine Lust auf Frauen. Die ganze Mitteilung taugt nicht viel, denn in den biographischen Lexika wird zweimal eine Ehefrau von ihm aufgeführt, aber die Existenz eines solchen Mannes wurde offenbar für möglich gehalten.

ANMERKUNGEN
1. Die Sklaverei wurde in Oman erst 1970 abgeschafft; viele ehemalige Sklaven blieben jedoch bei derselben Arbeit. Sie wurden oft diskriminiert; noch schlechter behandelt werden die inzwischen aus dem Ausland importierten Arbeitnehmer.
2. Ibn Isḥāq, Sīra 739: وكانت عائشة تقول: قد سئل عن ابن المعطل فوجدوه رجلاً حصورًا ما يأتي النساء ثم قتل بعد ذلك شهيدًا.

BIBLIOGRAFIE
– Unni Wikan, „Man becomes Woman: The Xanith as a Key to Gender Roles,“ in Unni Wikan, Resonance. Beyond the words, Chicago 2012, 169–187.

Gehört zu: Geschlechter und Neigungen –1: Die Mädchen-Jungs des 8. Jahrhunderts. Die bache posh in Afghanistan
Geschlechter und Neigungen – 2a: Die Effeminierten im alten Medina
Geschlechter und Neigungen – 2b: Die Effeminierten im Hadith des Propheten
Geschlechter und Neigungen – 2c: Die khanīth, weibliche Männer in Oman
Geschlechter und Neigungen –3: Sexuelle Orientierungen im vormodernen Nahen Osten

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Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten – 1

Die Bugis auf Sulawesi kennen fünf Geschlechter und die Navajo-Indianer ebenfalls: männliche Männer, weibliche Männer, weibliche Frauen, männliche Frauen; bei den Navajo der Hermaphrodit, der Mann und Frau ist und bei den Bugis der bissu, eine Art Heiligmensch, der weder Mann noch Frau ist.
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Lawrence Durrell schrieb über Alexandrien in Justine: „There are more than five sexes, and only demotic Greek seems to distinguish between them.“ Das Letztere glaube ich nicht; das Arabische kann auch einiges, aber in der Tat, von alters her gab es im Nahen Osten erheblich mehr Geschlechter als im langweiligen Westen, der bis vor kurzem nur Männchen und Weibchen (an)erkannte und wo die Entdeckung anderer Möglichkeiten vor allem Mühsal mit sich bringt. Die Muslime nahmen das weniger schwer. Eine OP zur Geschlechtsänderung war in Casablanca oder Teheran früher möglich als bei uns.
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Neuerdings schießen auch bei uns die Geschlechter und Gender wie Pilze aus dem Boden. Wir haben jetzt LGBTQ… und noch mehr Buchstaben; von den letzten weiß ich nicht mal, wofür sie stehen. Ist es angenehm mit so einem Buchstabe etikettiert zu werden? Die indonesische Aktivistin Tiara Tiar Bahtiar schrieb ein Buch mit dem Titel Namaku bukan waria – panggil aku manusia, „Ich heiße nicht Transgender, nenne mich Mensch.“ Aber offensichtlich gibt es auch Menschen, die für sich auf so einem Buchstaben bestehen. Ohne Identität scheint heutzutage nichts zu gehen.
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Es gibt Geschlechter und Gender, aber auch sexuelle Orientierungen; überdies gibt es noch die Möglichkeit der Travestie. Insgesamt ist eine große Anzahl Spielkombinationen möglich.
Über die Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten kann ich viel weniger sagen als ich möchte, denn in den arabischen Quellen, die ich mir vorstellen kann (Poesie, Geschichtswerke) bin ich nicht weit vorgedrungen; sie sind unermesslich ausgedehnt und oft unerschlossen. Eine Sache kann schon im Voraus gesagt werden: man scherte sich früher nicht um Identität. Der modern-westliche Gedanke: „Wenn du etwas bist, bist du das für immer, es ist dein wahres Wesen,“ existierte im alten Nahen Osten nicht. Menschen konnten sich durchaus verändern—manchmal auf Zeit, manchmal für immer.

Pseudo-Jungen 
Die ghulāmīya oder radjulīya, Mädchen, die sich wie ein Junge kleiden und verhalten, wurden durch die Mutter des Kalifen al-Amīn (reg. 809–813) gefördert. Als al-Amīn in seiner Jugend wenig Interesse am weiblichen Geschlecht zeigte, wollte seine Mutter das stimulieren, indem sie solche Mädchen bei Hof einführte: kurzes Haar, kurze Tuniken, ein Gürtel um die Taille.
Was für Mädchen waren das? Die Mutter eines Prinzen konnte natürlich Sklavinnen befehlen, sich als Jungen zu verhalten, auch wenn sie von sich aus dazu nicht geneigt waren. Aber bei der Auswahl wird sie wohl darauf geachtet haben, welche Mädchen die Rolle überzeugend spielen konnten.1
Kurz darauf wurden die ghulāmiyāt auch in der Stadt beliebt, zum Beispiel als Bedienung in den Kneipen.
 Der Dichter Abū Nuwās bekam seinen Wein gerne „aus der Hand einer mit einer Scheide in der Kleidung eines mit einem Penis. Sie hat zwei Arten von Liebhabern: Päderasten und Hurer.“2 Er beschreibt die Mädchen auch, z.B. so: „Hier hast du Gestalten, weiblich im Benehmen, aber in der Kleidung der Männer, | mit bloßen Händen und Füßen, ohne Schmuck an den Ohren und um den Hals. | Sie sind schlank wie Zügel, Schwertgehänge und Gurte, |haben aber füllige Hintern in den Tuniken und Dolche an den Taillen, | ihre Locken sind skorpionartig gekrümmt und die Schnurrbärte sind aus Parfüm.“3 

Jenny → Nordberg hat ein interessantes Buch über Mädchen in Afghanistan geschrieben, die aus praktischen Gründen einige Jahre als Jungen auftreten. Sie behandelt unsere Zeit, aber die Gesellschaft in Afghanistan ist noch ziemlich vormodern. Solche Mädchen werden als Jungen gekleidet und behandelt und sie verhalten sich entsprechend: Sie klettern auf Bäume, spielen Fußball und schlagen sich.4 Meist sind es die Eltern, die auf die Idee kommen, eine Tochter zu einem Sohn umzugestalten; manchmal ist es ein Molla. Es ist nämlich für eine afghanische Familie eine große Schande, keinen Sohn zu haben. Überdies ist Mädchen fast nichts erlaubt, so dass eine Familie ohne Sohn nicht gut funktionieren kann. Dazu kommt noch ein magisches Motiv: Man glaubt gerne, dass, wenn man einmal so einen Jungen im Haus hat, das nächstgeborene Kind ein richtiger Sohn sein wird.
Die Mädchen finden es meistens in Ordnung. Als Jungen haben sie ja viel mehr Freiheit, sie können in die Schule gehen, sie laufen breitbeinig und mit frechem Blick auf der Straße, sie können Vater helfen im Laden, bei den Jungen und Männern sitzen und haben auch zu Hause eine privilegierte Position: Ihr Vater redet mit ihnen und nimmt sie ernst.
Solche Mädchen heißen dort bacha posh, bei uns tomboy, garçonne, erkek fatmafatāt mustardjila; im Deutschen gibt es wohl kein eindeutiges Wort—oder kennen Sie eins? Die Umgestaltung wird oft vollzogen, wenn das Mädchen drei oder vier Jahre alt ist; manchmal auch schon bei der Geburt. Im Idealfall werden diese Jungen lange vor der Pubertät wieder in Mädchen zurückverwandelt, so dass sie noch ausreichend Zeit haben, als weiblich geltende Tätigkeiten wie kochen, nähen, waschen, putzen und dergleichen zu erlernen. Nordberg hat ehemalige tomboys interviewt. Zurückblickend auf ihre Zeit als Junge denken diese darüber meist positiv: Es war ja eine einmalige Gelegenheit, mal außer Haus zu kommen und als Junge bekamen sie die Möglichkeit, die Welt kennen zu lernen und Selbstvertrauen aufzubauen. Schwierig war es aber für Mädchen, die noch bis in die Pubertät Junge blieben oder sogar den Übergang erst mit siebzehn machten. Das wurde manchmal richtig problematisch: Sie konnten weder kochen noch nähen, sie wussten nicht mal, wie sie sich schminken sollten und schafften es nicht, mit kleinen Schritten und niedergeschlagenem Blick zu gehen. Und vor allem: Sie hatten gar keine Lust, das freie Leben von Studium oder Arbeit aufzugeben um so ein unterwürfiges Geschöpf zu werden, von dem nur die Gebärmutter geschätzt wird—wenn diese Jungen gebärt, versteht sich. Auch solche Frauen hat Nordberg interviewt. Eine war dabei, die selbst schon längst Mutter war, aber die praktischen Aspekte des Frau-Seins noch immer nicht ganz beherrschte. Warum nicht? Weil sie sich als Mann fühlte und einer war! Sie hatte sich so in die Männerrolle eingelebt, dass sie wirklich einer geworden war—zwar ohne Penis, aber mit eingefallenen Brüsten und oft ausbleibender Menstruation.
Nordberg erzählt von einem afghanischen Mädchen, das mit fünfzehn noch bacha posh war und überhaupt keine Lust hatte, sich die Frauenrolle zu übernehmen. Einmal machte sie eine Runde auf einem gemieteten Motorrad, als ein Junge ihr zurief: „Wir wissen schon, dass du ein Mädchen bist!“ Aber das war nicht schlimm: Er war ein Freund, der sie auch schützte, wenn andere Jungen ihr an die Wäsche gehen wollten. Dass manche Jungen eigentlich Mädchen waren, wusste man wohl doch, aber das wurde mehr oder weniger vertuscht und toleriert.

Von zwei Extremfällen berichtet Nordberg noch: eine bacha posh, die Mann blieb, in eine street gang aufgenommen war und sich an Straßenkämpfen mit anderen Banden beteiligte; und eine andere, die eine Militärausbildung absolviert hatte. Sie war von den Amerikanern zum Elitesoldaten und Scharfschützen ausgebildet worden und arbeitete danach im aktiven Dienst bei der Polizei. In ihrem Pass stand ein weiblicher Name, aber sie verhielt sich wie ein Mann und stand ihren männlichen Kollegen in Sachen Körperbau, Muskulatur und Machoverhalten in nichts nach. Solche Frauen hofften, dass sie bald zu alt zum Heiraten sein würden; nicht mit ihnen!
Unsere tomboys sind das aus persönlicher Neigung; in Afghanistan werden sie meist von außen in die Rolle gezwungen, aber sie kultivieren die Neigung, indem sie mit tiefer Stimme reden, die anderen Jungen nachahmen und lernen sich selbstverständlich unter ihnen zu bewegen. Das soziale Geschlecht ist auch ein Geschlecht, das wird bei uns manchmal vergessen. Gefangen im falschen Körper? Das bedeutet im frauenverachtenden Afghanistan doch etwas anderes als bei uns. Eigentlich stecken dort alle Mädchen in einem falschen, denn unfreien Körper. Mann sein ist das Ideal. Zu denken gibt, dass bei diesen Frauen der Körper dem Geist gefolgt war und sich auch wirklich in einen männlichen Körper verwandelt hatte—natürlich nicht ganz, aber ziemlich weitgehend
. Und das ohne Operation oder Hormonspritzen, denn die bekamen sie nicht. Wenn das in Afghanistan möglich ist, geht das auch bei uns. Legen sich nicht viele Menschen auf eine Identität fest, während sie auch, vorübergehend oder für immer, eine andere haben könnten? Und wozu braucht man überhaupt eine Identität?
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Auch in Albanien leben noch ältere Männer, die als Mädchen geboren und aus denselben Gründen wie in Afghanistan von ihren Eltern zu Jungen ernannt wurden: die „geschworenen Jungfrauen“ (burrnesha). Sie sind ihr ganzes Leben Mann geblieben und mussten schwören, sich jeder sexuellen Tätigkeit zu enthalten.
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Wer meinen sollte, dass dies alles mit dem Islam zu tun hat, liegt falsch. Sowohl die normativen Quellentexte, als auch die Scharia-Gelehrten lehnen es ab, dass jemand sich als zu einem anderen als seinem biologischen Geschlecht gehörig verhält. Die Umwandlung ergibt sich in Gesellschaften, die eine starke Geschlechtertrennung praktizieren, und die existierten schon lange vor dem Islam, auch außerhalb des Nahen Ostens. Bei näherer Betrachtung gab es recht viele Länder, in denen Frauen den Schritt zur Geschlechtsumwandlung machen mussten oder wollten um ihre Chancen zu verbessern; Westeuropa bis ins 19. Jahrhundert nicht ausgenommen. In Albanien nahm seit dem Einzug der Moderne die Anzahl burrneshas ab. Die Notlösung, die der Geschlechtswechsel gewesen war, war dort nicht länger erforderlich.

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Männliche Frauen
Frauen, die einfach keine Lust hatten auf die traditionelle unterwürfige Frauenrolle, gab es natürlich auch:

Hind bint Nu‘mān, „die erste arabische Lesbierin“ (6. Jht.), fand Gefallen am Erniedrigen ihres jeweiligen Ehegatten.

Hind bint ‘Utba (7. Jht.), „die Leberesserin“, begnügte sich der Überlieferung zufolge nicht mit der traditionellen Frauenrolle auf dem Schlachtfeld, die darin bestand, die Männer zu ermutigen, Wasser heranzutragen und Verletzte zu versorgen. Sie schnitt den Körper des besiegten Helden Hamza auf und aß seine Leber roh.

2015 besprach ich hier Remke → Kruk, The Warrior Women of Islam. Dieses Buch handelt von alten arabischen Volkserzählungen über butch Frauen, die auf dem Schlachtfeld kämpften und sogar eigene Armeen anführten. Aber die Erzählungen sind Fiktion, Produkte männlicher Fantasie. Sie bezwecken ein männliches Publikum zu unterhalten und sind deshalb ungeeignet als Quelle für die Erforschung der gelebten Wirklichkeit. In ihrem ersten Kapitel berichtet die Autorin aber über ihre Suche nach Kämpferinnen, die wirklich gelebt haben. In den ersten Jahrhunderten des Islams, so scheint es, waren einige, aber nicht sehr viele Frauen wirklich militärisch aktiv; die betreffenden Berichte sind sehr knapp. Des Weiteren gibt es einige Erzählungen, die halblegendär sind oder auf den altgriechischen Mythos der Amazonen zurückzuführen sind. Im alten Nahen Osten real existiert hat dagegen Königin Zenobia (240-274), sie war wohl meist kriegerisch gesinnt und es gelang ihr, aus der syrischen Oase Palmyra heraus ein großes Reich aufzubauen, das einige Jahre eine Bedrohung für die Römer darstellte. Von ihr wird auch erzählt, dass sie als Mädchen ein tomboy war und mädchenhafte Tätigkeiten mied, sich stattdessen aber Ringkämpfe mit den Jungen lieferte und mit Pfeil und Bogen Jagd auf wilde Tiere machte.5

In der Hadith-Literatur wird eine gewisse Umm Ḥarām bint Milḥān erwähnt, die darauf bestand, an der Militärexpedition gegen Zypern im Jahr 649 teilzunehmen. Von ihren Kriegshandlungen ist nichts bekannt; ihre Militärlaufbahn endete unglücklich als sie nach wohlbehaltener Heimkehr von ihrem Reittier fiel und starb.6

In Ägypten thematisieren viele Witze und Cartoons mickerige Männchen, die ganz unter dem Pantoffel ihrer übermächtigen Gattin stehen. Das ist nur Phantasie; allerdings gibt es eine Minderheit von Paaren, bei denen das durchaus der Fall ist. Niemand wird z. B. die Dame vorne auf dem Foto für schüchtern oder unterwürfig halten. Ist der Mann im Hintergrund etwa ihr Ehemann? Wir wissen es nicht.
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In Ägypten waren (sind?) Frauen manchmal als Bauarbeiter tätig. Ich habe sie 1971 bei der Knochenarbeit beobachtet: mit Körben voller Steinen auf Gerüste klettern gesehen usw. Vielleicht hatten sie keinen Mann (mehr), der sich um das Familieneinkommen kümmerte, und mussten sie als Ernährerin auftreten? Aber mussten sie denn gerade diese Arbeit machen oder wollten sie es selbst? Hätten sie keine Näh- oder Bügelarbeit verrichten oder einen Windelservice anbieten können? Ich weiß nicht, wie sich das verhielt.

„Meine Mutter war ein richtiger Kerl,“ schrieb al-Māzinī ca. 1930, „sie …@TEXT NOCH SUCHEN@

Umm Kulthūm (± 1904–1975), die berühmte ägyptische Sängerin, die mit ihrer eindrucksvollen Stimme jahrzehntelang die arabische Welt in die Knie zwang, fiel schon früh durch ihr Gesangstalent auf. Ihr Vater hatte neben seiner Arbeit als Dorfimam eine Musikgruppe, mit der sie auftreten durfte, unter der Bedingung, dass sie sich als Junge kleidete und verhielt. Das ging lange Zeit gut, aber als sie immer sichtbarer Frau wurde und immer mehr Menschen „es“ wussten, befahl ihr Vater ihr, mit dem Singen aufzuhören und zu heiraten. Daraus wurde aber nichts und nach einer Pause sang sie weiter, in Kairo, ganz als Frau. In ihren späteren Jahren war ihre Stimme sehr tief, aber in ihrer Jugend noch nicht. Jede Gesangstimme wird im Alter tiefer, aber bei ihr war das extrem. War es ihr Wunsch, eine tiefe Altistin zu sein, war es etwas Männliches, das herauswollte? Sie hielt sich von der unter Künstlern üblichen Liederlichkeit fern. Dass sie keine Beziehungen zu Männern hatte,  wird oft ihrer frommen Gesinnung und ihrem noblen Charakter zugeschrieben; es kann aber auch sein, dass sie sich nicht zu ihnen hingezogen fühlte. Zumindest will ein Gerücht, dass sie beim Abfassen eines Vertrages für einen Auftritt außer Landes auf der Bereitstellung zweier junger Mädchen bestand.

Dies waren nur so ein Paar Eindrücke, die meisten aus Lektüre. Ich habe keinen Überblick über diese Phänomene in der ganzen arabischen oder islamischen Welt, bin auch kein Sozialwissenschaftler, wollte das aber doch mal aufschreiben, weil sonst jemand denken könnte, im Ausland müsse alles unbedingt genauso eingerichtet sein wie bei uns.

Sicherheitshalber sage ich es noch mal: Burschikose Mädchen und mannhafte Frauen müssen keineswegs lesbisch sein.

Wird fortgesetzt:
Geschlechter und Neigungen – 2a: Die Effeminierten im alten Medina
Geschlechter und Neigungen – 2b: Die Effeminierten im Hadith des Propheten
Geschlechter und Neigungen – 2c: Die khanīth, weibliche Männer in Oman. Ṣafwān ibn al-Mu‘attall
Geschlechter und Neigungen im vormodernen Nahen Osten – 3 Sexuelle Orientierungen im vormodernen Nahen Osten

ANMERKUNGEN
1. Viel Erfolg hatte sie übrigens nicht mit ihrem Versuch. Als al-Amīn einmal Kalif war, dichtete ein anonymer Spottdichter über ihn und seinen Minister Faḍl: Es ist ein Wunder: Der Kalif | ist als Päderast aktiv, | der andere wird befriedigt | (was uns noch mehr verwundert) passiv!
2. Abū Nuwās, Dīwān I,@@; Übers. Wagner, Abū Nuwās 178من كَفّ ذات حِرّ في زيّ ذي ذكر لها محبّان لوطي وزنّاءُ
3. Abū Nuwās, Dīwān I, 174–5; Übers. Wagner, Abū Nuwās 177:
صوَر إليك مؤنّثاتُ الدلّ في زيّ الذكورِ
عُطُلُ الشَّوي ومواضعِ الأزرار منهل والنحورِ
أُرهِقن إرهاف الأعنّة والحمائل والسيورِ
وموفَّراتٍ في القراطق والخناجرُ في الخصورِ
أصداغُهنّ معقربات والشوارب من عبيرِ
4. Ich danke Prof. Remke Kruk, Leiden, die mich auf dieses Buch hingewiesen hat.
5. Kruk, Warrior Women, 17, 45. Eine wichtige Quelle ist Trebellius Pollio in der Historia Augusta, ein Autor, der bekannt ist für seine wenig wahrheitsgetreuen Beschreibungen und der vielleicht selbst nicht mal existiert hat. Aber um ein Reich aufzubauen und sich gegen römische Legionen durchzusetzen muss Zenobia doch wirklich einiges auf dem Kasten gehabt haben.
6. Buḫārī, Ǧihād 8, var. Ǧihād 3, 17: […] von Anas ibn Mālik, von seiner Tante Umm Ḥarām bint Milḥān: Der Prophet schlief eines Tages in meiner Nähe und als er aufwachte, lachte er. Ich fragte ihn, warum er lache. Er sagte: „[Im Traum] sind mir Menschen aus meiner Gemeinde gezeigt worden, während sie das grüne Meer befuhren wie Könige auf Thronen.“ Sie sagte: „Bete zu Gott, dass er mich eine von ihnen macht!“ Darauf schlief der Prophet wieder ein; dasselbe geschah noch einmal. Dann sagte er: „Du bist eine der Ersten.“ Sie begleitete ihren Gatten ‘Ubāda ibn al-Ṣāmit auf dem Kriegszug, als die Muslime mit Mu‘āwiya zum ersten Mal das Meer befuhren. Als sie vom Kriegszug zurückkehrten und wieder in Syrien landeten, wurde ihr ein Reittier gebracht, aber dieses warf sie ab und daran starb sie.

حَدَّثَنَا عَبْدُ اللَّهِ بْنُ يُوسُفَ قَالَ حَدَّثَنِي اللَّيْثُ حَدَّثَنَا يَحْيَى عَنْ مُحَمَّدِ بْنِ يَحْيَى بْنِ حَبَّانَ عَنْ أَنَسِ بْنِ مَالِكٍ عَنْ خَالَتِهِ أُمِّ حَرَامٍ بِنْتِ مِلْحَانَ قَالَتْ نَامَ النَّبِيُّ ص يَوْمًا قَرِيبًا مِنِّي ثُمَّ اسْتَيْقَظَ يَتَبَسَّمُ فَقُلْتُ مَا أَضْحَكَكَ قَالَ أُنَاسٌ مِنْ أُمَّتِي عُرِضُوا عَلَيَّ يَرْكَبُونَ هَذَا الْبَحْرَ الْأَخْضَرَ كَالْمُلُوكِ عَلَى الْأَسِرَّةِ قَالَتْ فَادْعُ اللَّهَ أَنْ يَجْعَلَنِي مِنْهُمْ فَدَعَا لَهَا ثُمَّ نَامَ الثَّانِيَةَ فَفَعَلَ مِثْلَهَا فَقَالَتْ مِثْلَ قَوْلِهَا فَأَجَابَهَا مِثْلَهَا فَقَالَتْ ادْعُ اللَّهَ أَنْ يَجْعَلَنِي مِنْهُمْ فَقَالَ أَنْتِ مِنْ الْأَوَّلِينَ فَخَرَجَتْ مَعَ زَوْجِهَا عُبَادَةَ بْنِ الصَّامِتِ غَازِيًا أَوَّلَ مَا رَكِبَ الْمُسْلِمُونَ الْبَحْرَ مَعَ مُعَاوِيَةَ فَلَمَّا انْصَرَفُوا مِنْ غَزْوِهِمْ قَافِلِينَ فَنَزَلُوا الشَّأْمَ فَقُرِّبَتْ إِلَيْهَا دَابَّةٌ لِتَرْكَبَهَا فَصَرَعَتْهَا فَمَاتَتْ.

BIBLIOGRAPHIE
– Abū Nuwās: Der Dīwān des Abū Nuwās, Teil I, Hg. Ewald Wagner, Wiesbaden 1958.
– Remke Kruk, The Warrior Women of Islam. Female empowerment in Arabic Popular Literature, Londen 2014.
– Adam Mez, Die Renaissance des Islâms, Heidelberg 1922.
– Jenny Nordberg, Afghanistans verborgene Töchter. Wenn Mädchen als Söhne aufwachsen, übers. von Gerlinde Schermer-Rauwolf, und Robert A. Weiß, Hamburg 2015; urspr. erschienen auf Englisch: The Underground Girls of Kabul, The Hidden Lives of Afghan Girls Disguised as Boys, 2014.
– Ewald Wagner, Abū Nuwās. Eine Studie zur arabischen Literatur der frühen ‘Abbāsidenzeit, Wiesbaden 1965.

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