Hier bekommen Sie keine ethnologische Abhandlung über die Türken geboten; nur einige Hinweise auf die Türken in der arabischen Vergangenheit.
In der Antike
Im Oströmischen Reich war der Name Türken (Τούρκοι) bereits bekannt; er bezeichnete Stämme in Zentralasien. Das ist ein riesiges Gebiet, das in vorindustrieller Zeit hauptsächlich von Reitervölkern und ihren Pferden bewohnt wurde. Von alters her zogen Gruppen von Auswanderern aus diesem Gebiet zu sesshaften Umgebungen: nach Europa, aber auch nach China und Indien: Hunnen, Magyaren, Türken und Mongolen — und wahrscheinlich vergesse ich noch einige. Der Lebensraum, wie gewaltig er uns erscheinen mag, hat den Bewohnern wohl doch nicht gereicht. Oder sie hatten einfach Lust auf the high life.
In der Antike hat man im Westen die zentralasiatischen Völker nicht gut auseinander halten können. Rätselhaft ist z.B. die Mitteilung beim Geographen Strabo (63 v.Chr.–23 n.Chr.): „Die Türken sind die Magyaren.“ 1 Die Magyaren sind bei uns bekannt als die Ungarn, die um 900 nach Europa einwanderten. Im Wolgadelta wohnten auf jeden Fall schon früh Türken. Es scheint auch altgriechische Quellen zu geben, denen zufolge im Kaukasus Türken lebten, ungefähr im heutigen Armenien. Bei den Historikern Priskos und Prokop müsste etwas zu finden sein. Aber sich in ein fremdes Fachgebiet zu begeben nimmt Zeit; das kann also noch etwas dauern.
Das Gebiet nördlich vom Kaukasus hatte in der Spätantike einen schlechten Ruf: Man glaubte, dass dort die wilden Stämme Yādjūdj und Mādjūdj (Yagug und Magug, Gog und Magog)2 wohnten. Der „Hörnermann“ (Alexander der Große?) hat dem Koran zufolge einen Damm gebaut, hinter dem diese böswilligen Völker sicher weggesperrt waren. Zu dieser Erzählung haben vielleicht die eindrucksvollen Mauern der Stadt Derbent inspiriert, die auf einer Landenge in Süddagestan liegt. Man erwartete, dass in der *Endzeit, also kurz vor dem *Jüngsten Tag, die Yādjūdj und Mādjūdj von hinter dem Damm ausbrechen würden. Es hat Koranausleger gegeben, die sie zu den Türken rechneten.3
Die vorislamischen Araber auf der Halbinsel haben wohl kaum Türken zu Gesicht bekommen. In den von Arabern bewohnten Teilen Syriens können einige vorbeigekommen sein, aber das hat nicht zu historisch überlieferten Begegnungen geführt.
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Früher Islam
Als die Araber Persien erobert hatten, lernten sie an der Nordostgrenze des Reiches sicherlich auch Türken kennen. Diese machten einen sehr tüchtigen, kriegerischen und bedrohlichen Eindruck, wie ein dem Propheten zugeschriebener Hadith uns in zwei Versionen vermittelt:
- … von Abū Huraira, der Prophet habe ihm erzählt: „Der jüngste Tag wird nicht anbrechen, bis ihr nicht gegen Menschen gekämpft habt, deren Schuhe aus Haar bestehen. Und der jüngste Tag wird nicht anbrechen, bis ihr nicht gegen Menschen mit kleinen Augen und Nasen gekämpft habt.“ 4
- … von Abū Huraira: Der Prophet hat gesagt: „Der jüngste Tag wird nicht anbrechen, bis nicht die Muslime gegen die Türken gekämpft haben, ein Volk, dessen Gesichter wie doppelt genähte Lederschilder aussehen, die sich in Haar kleiden und auf Schuhen aus Haar gehen.“ 5
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Söldner
Abgesehen von türkischen Auswanderern an der Ostgrenze und wohl auch versklavten Kriegsgefangenen, kamen die ersten Türken nach Bagdad, weil die ersten *Abbasidenkalifen Soldaten brauchten. Sie heuerten türkische Söldner für ihre Leibgarde an, erstens weil die Türken den Ruf hatten sehr gute Soldaten zu sein, zweitens weil diese isolierten Fremden keine Wurzeln im Irak hatten, so dass sie (wenigstens anfangs) kaum für Stammesloyalitäten, Cliquenbildung und Korruption anfällig waren. Kalif al-Mu‘tasim (833–842) führte das in großem Stil durch: Er importierte 25.000 bis 30.000 Mann. Und bald bestand die ganze Armee nur noch aus „Türken“ (d.h. Auswanderer aus Zentralasien; sie waren wohl nicht alle türkischsprachig). Islamische Staaten haben noch bis ins 19. Jahrhundert Sklaven, Soldaten und manchmal sogar Herrscher von weit hergeholt: Mamluken, Janitscharen usw..
Al-Djāhiz (781–868) schreibt über die Türken:
- Der Khāridjit verläßt sich im Kampfgedränge vor allem auf den Lanzenstoß, die Türken aber stoßen mit der Lanze ebenso gut wie die Khāridjiten. Und wenn tausend ihrer Reiter zum Angriff übergehen, schießen sie ihre Pfeile in einem Fluge ab und werfen tausend Reiter zu Boden; keine Truppe vermag einer solchen Angriffsart standzuhalten.
Weder die Khāridjiten noch die Beduinen sind dafür bekannt, mit dem Bogen vom Rücken der Pferde zu schießen. Der Türke aber trifft so ein Wild, einen Vogel, eine Zielscheibe, einen Menschen, ein liegendes Tier, ein aufgestellten Grenzstein oder einen sich auf die Beute stürzenden Raubvogel. Er hetzt sein Reittier vorwärts und rückwärts, rechts und links, bergauf und bergab und schießt zehn Pfeile ab, bevor der Khāridjit einen einzigen Pfeil auflegt. Beim Herunterkommen von einem Berg oder beim Abstieg in die Tiefe eines Flußbettes treibt er sein Reittier zu schnellerem Galopp an, als es der Khāridjit auf ebener Erde vermag.
Die Türken haben vier Augen, ein Augenpaar im Gesicht und ein anderes Augenpaar im Hinterkopf.6 - Dementsprechend sind die Türken Zeltleute, Steppenbewohner und Herdenbesitzer; sie sind sozusagen die Beduinen der Nichtaraber. […] Sie beschäftigen sich weder mit Handwerk, Handel, Medizin, Ackerbau, Geometrie, Baumzucht, Baukunst noch mit der Anlage von Kanälen und mit der Erhebung von Steuern, sie haben kein anderes Streben als nach Plünderungszug und Raubeinfall, Jagen und Reiten, Streit gegen Kämpfer, Suche nach Beute und Unterjochung fremder Länder.7
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Migranten
Ab ± 1000 kam aber auch eine spontane, große Völkerwanderung ins Abbasidenreich in Gang; ab 800 hatte es schon getröpfelt. Es kamen immer mehr, ganze Stämme zogen gen Westen. Ich nenne hier nur die Seldschuken (Selçuklular, Saldjūq), die 960 zum Islam übergingen, 1055 Bagdad eroberten und 1071 bei Manzikert die Ost-Römer entscheidend schlugen. Danach lag auch Kleinasien für sie offen. Konya, ihre dortige Hauptstadt, erlebte eine große Blüte. Nach dem schiitischen Jahrhundert (945–1055) der Buyiden und der drohenden Einnahme Bagdads durch die ägyptischen Fāṭimiden vertraten die Seldschuken einen sturen sunnitischen Islam und die hanafitische Rechtschule.
Türkische Stämme streunten anfangs noch als Nomaden herum und wurden z.B. von den vorbeiziehenden Kreuzfahrern (1097) ziemlich überrascht. Beim zweiten Kreuzzug waren sie schon besser organisiert und verteidigten sich. Aber das Bild der „wüsten Nomaden,“ die gen Westen zogen, ist viel zu einseitig. Es kamen sicherlich Nomaden, aber die Seldschuken brachten auch Wiederaufbau und neues Leben ins ziemlich heruntergekommene Abbasidenreich, in den Irak und nach Syrien: Infrastruktur, Geldsystem, Staatseinrichtung, Städtebau usw. Kenntnis der urbanen Kultur und der Staatseinrichtung hatten sie in dem ebenfalls türkischen Reich der Ghaznawiden in Afghanistan (977–1186) erworben.
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Osmanen
Später kamen die türkischen Osmanen. Konstantinopel fiel ihnen bekanntlich 1453 in die Hände. Davor war bereits der Balkan erobert worden, der zum Teil noch bis ins 20. Jh. türkisch blieb. Das Osmanenreich war bis 1700 eine sehr starke, auch Europa bedrohende Militärmacht. Danach wurde es allmählich schwächer — und dadurch kulturell auch attraktiver —, bis es als „kranker Mann Europas“ verendete. Der osmanische Vielvölkerstaat nahm 1918–20 ein Ende; seitdem besteht die Türkische Republik weiter. Auch diese ist überwiegend sunnitisch, wobei die hanafitische Rechtsschule dominant ist. Um 1500 hatte das Osmanenreich das modernste Rechtssystem Europas – und das war nicht die Scharia.
Die Türken hatten auch den Großteil der arabischen Welt erobert. 1517 hatten sie die Mamlukenherrschaft in Ägypten beendet. Seitdem wohnten die meisten Araber im türkischen Osmanenreich, das sich bis nach dem 1. Weltkrieg gehalten hat. Osmanisch-Türkisch war dort die Sprache der Macht und der Elite, während das Arabische in die Domänen der Religion, des Handels und des Alltagslebens zurückgedrängt war. Die besten Schriftsteller, Gelehrten und Handwerker wurden aus Kairo nach İstanbul gebracht; andere gingen freiwillig, denn die Karrierechancen lagen in der Hauptstadt.
Haben die Araber unter den Türken gelitten, sich unterjocht gefühlt? Ich weiß es nicht, ich würde meinen, bis tief ins 19. Jahrhundert eher wenig. Der Nationalismus und der Freiheitsdrang der Griechen z.B., die sich 1822 mit europäischer Hilfe selbständig machten, waren in der Arabischen Welt noch nicht angekommen. Etwas Groll hegte schon ‘Alī Mubārak, der spätere Ali Pascha Mubarak (1823–1893), ein ägyptischer Junge, der 1844 in Frankreich an der Militärakademie studieren durfte. Seine Kommilitonen aus Ägypten waren alle türkischsprachig, bekamen Vergünstigungen und mehr Taschengeld, und waren oft weniger fleißig als er. Sie hatten ihren Studienplatz nur bekommen, weil sie zur türkischen Oberschicht gehörten. Ein Gemisch aus ethnischer und sozialer Diskriminierung wurde hier also peinlich spürbar.8 Ab 1850 wurden sowohl die Türken wie auch die Araber mit dem Virus des Nationalismus angesteckt. Spätestens seitdem fühlten sich Araber im Osmanenreich weniger wohl und fingen an zu schmollen und zu rebellieren, während die Türken ihrerseits auch überheblicher wurden. In der 2. Hälfte des 19. Jh. emigrierten viele arabische Intellektuelle aus dem noch-türkischen Syrien ins relativ unabhängige, ab 1882 aber britisch besetzte Ägypten. Ab 1920 waren sie die Türken los.
Die osmanische Herrschaft hat schwere Folgen für die arabische Kultur gehabt. Kairo und Damaskus wurden ausgeräumt: Fachleute, Intellektuelle und auch Handschriften wurden nach İstanbul verschleppt oder gelockt. Die arabische Kultur blieb jahrhundertelang zweitrangig, bis ab ± 1850 die sog. nahda („arabische Renaissance“) anfing. Anknüpfen an die eigene Vergangenheit erwies sich nach so vielen Jahrhunderten als schwierig.
Heute sprechen die Araber (wie die Griechen auch) manchmal von der türkischen Besatzung — und damit meinen sie nichts Gutes. Aber ist es sinnvoll, eine vier Jahrhunderte dauernde Herrschaft eine Besatzung zu nennen? Als das Osmanenreich und das Kalifat nach dem Ersten Weltkrieg aufgelöst wurden, vermissten viele Araber sie doch stark. Der Sultan-Kalif war ja seit dem 19. Jh. weltweit als geistliches Oberhaupt der Muslime betrachtet worden. Und huwa aslu turki, „er ist türkischer Herkunft“ bedeutete in Ägypten bis vor Kurzem, dass die betreffende Person zur alten Elite, die aristūqrātīya, gehört. Die Elite sprach dort Türkisch und Französisch und hörte noch sehr lange über einen eigenen Rundfunksender osmanische Schlager und klassische türkische Musik. Sie dürfte jetzt ausgestorben sein oder nur noch Französisch sprechen. Nagib Mahfus hat sich in seinem Roman Das junge Kairo (al-Qāhira al-djadīda; 1945) über eine Prinzessin lustig gemacht, die eine kurze Ansprache auf Arabisch halten sollte, diese aber nur aus einem französischen Transkript vorlesen konnte, wodurch sie zum Großteil unverständlich wurde.
Das Osmanenreich war ein islamisches Reich, das aber religiösen Minderheiten viel Raum bot. Diese bildeten zusammen ungefähr 30% der Bevölkerung, wenn nicht noch mehr. Einige Minoritäten (Griechen, Juden, Armenier) waren für den Handel und die internationalen Kontakte unentbehrlich. Ob und ab wann man die Einwohner auch nach Ethnien registriert hat, ist mir nicht bekannt. Die Türken selbst bildeten im Reich eine ethnische Minderheit.
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Moderne Türken
Momentan gilt die Türkei vielen Arabern als Beispiel eines modernen, erfolgreichen Staats, dem die Einbindung des Islams in ein modernes, säkulares Staatsgefüge gelungen ist. Andererseits wird auf türkische Einmischung in arabische Angelegenheiten keinen Wert gelegt.
ANMERKUNGEN
1. Stelle fehlt noch!@
2. Koran 18:83–98, 21:95–97.
3. Keith Lewinstein, „Gog and Magog,“ in Encyclopaedia of the Qurʾān.
4. Muslim, Sahīh, Fitan 64:
وحدثنا أبو بكر بن أبي شيبة حدثنا سفيان بن عيينة عن أبي الزناد عن الأعرج عن أبي هريرة يبلغ به النبي ص قال: لا تقوم الساعة حتى تقاتلوا قوما نعالهم الشعر ولا تقوم الساعة حتى تقاتلوا قوما صغار الأعين ذلف الآنف.
5. Muslim, Sahīh, Fitan 65:
حدثنا قتيبة بن سعيد حدثنا يعقوب يعني ابن عبد الرحمن عن سهيل عن أبيه عن أبي هريرة أن رسول الله ص قال لا تقوم الساعة حتى يقاتل المسلمون الترك قوما وجوههم كالمجان المطرقة يلبسون الشعر ويمشون في الشعر.
6. Al-Djāhiz, „Manāqib at-turk,“ in: Rasā’il al-Djāhiz, hg. ‘Abd al-Salām Hārūn, Kairo o.J., S. 45. Übersetzung Charles Pellat, Arabische Geisteswelt. Ausgewählte und übersetzte Texte von al-Djāhiz, übers. Walter Müller, S. 150–151. es fehlt der letzte Satz noch.@
وقال: الخارجي عند الشِدة إنما يعتمد على الطِعان، والأتراك يطعن طعنَ الخوارج وإن شدّ منهم ألف فارس فرموا رِشقًا واحدًا صرعوا ألف فارس، فما بقاء على هذا النوع من الشدّة.
والخوارج والأعراب ليست لهم رماية ومذكورة على ظهور الخيل، والتركي يرمي الوحش والطير والبرجاس والناس والمجثَّمة والمُثل الموضوعة، ويرمي وقد ملأ فروجَ دابّته مدبرًِا ومقبلاً ويَمنة ويسرة وصُعُدًا وسُفْلاً، ويرمي بعشرة أسهم قبل أن يفوّق الخارجي سهمًا واحدًا، ويركض دابّته منحدرًا من جبل أو مستفلاً إلى بطن واد بأكثر مما يمكن الخارجي على بسيط الأرض.
7. Al-Djāhiz, ibid. i, 70–71. Übersetzung S. 158.
وكذلك الترك أصحاب عمد وسكَّان فيافٍ وأرباب مواشٍ، وهم أعراب العَجَم كما أنّ هُذيلًا أكراد العرب. فحين لم تشغلهم الصناعات والتجارات والطب والفلاحة والهندسة ولا غرس ولا بنيان ولا شقّ أنهار ولا جباية غلاّت، ولم يكن همّهم غير الغزو والغارة والصيد وركوب الخيل ومقارعة الأبطال وطلب الغنائم وتدويخ البلدان.
8. ‘Alī Pāshā Mubārak, al-Khitat at-taufīqīya, ix, 41. @Text und Kontrolle@
Diakritische Zeichen: Yāǧūǧ und Māǧūǧ, Yaʾǧūǧ und Maʾǧūǧ, Yagug Magug Yadjudj Madjuj Jagog Gog Magog, al-Muʿtaṣim, Al-Ǧāḥiẓ, Ḫāriǧit, Salǧūq, Baġdāḍ, nahḍa, aṣlu, arisṭūqrāṭīya, Naǧīb Maḥfūẓ, al-ǧadīda, Ṣaḥīḥ, ‘Alī Pāšā Mubārak, al-Ḫiṭaṭ
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